Ukraine – ein Staat in der Agonie
Neben der katastrophalen Situation auf dem Schlachtfeld, der schwindenden Hilfe aus den USA, tobt in Kiew ein Machtkampf, bei welchem Selenski und Zaluzhny um ihre Existenz kämpfen und damit die Ukraine weiter schwächen.
René Zittlau
Einleitung
Es ist offensichtlich – die Dinge laufen für die Ukraine nicht so, wie sie nach den Wünschen und Wunschvorstellungen der ukrainischen Führung und der sie beherrschenden NATO-Staaten eigentlich laufen sollten. Die Situation auf dem Schlachtfeld ist katastrophal. Wir kamen bereits im September zum Schluss, dass die Ukraine militärisch am Ende ist.
Hinzu kommt, dass andere geopolitischen Ereignisse – vor allem im Nahen Osten – der Ukraine ihren lange unangefochtenen führenden Rang in der Berichterstattung abgelaufen haben. Hierbei geht es um die Größenordnung der finanziellen und militärischen Unterstützung, die die USA in der Lage und willens sind, der Ukraine zu gewähren.
So überrascht es nicht, dass der ukrainische Präsident mit aller Macht versucht, in die Schlagzeilen zurückzukommen, die bislang Gewähr dafür waren, das zu bekommen, was er forderte. Verbunden damit, wenn auch ungesagt, ist auch seine Hoffnung, dadurch das eigene Ende hinauszögern oder vielleicht doch irgendwie abwenden zu können.
Die Machtposition Selenskis bröckelt und verglichen mit seinem Standing vor zwei Jahren ist er nicht nur in seinem eigenen Land, sondern auch im Westen ein Schatten seiner selbst. Er ist gefangen zwischen mächtigen Interessengruppen, auf die er immer weniger Einfluss hat.
In diesem Beitrag versuchen wir die internen Machtkämpfe zu verstehen und einzuordnen.
Zaluzhny stört und soll gehen
Seit etwa einer Woche rumort die Gerüchteküche in und um Kiew heftig. Der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, General Valery Zaluzhny, soll angeblich abgelöst werden.
Es ist ein Ringen zwischen den beiden einzigen verbliebenen Machtzentren der Ukraine entbrannt – dem Präsidenten und dem Oberkommandierenden der Armee. Hinter diesen beiden sammeln sich alle anderen. Selbst die Geheimdienste ordnen sich ein, die sonst bei derartigen Konstellationen fast immer ihr eigenes Süppchen kochen, einfach deshalb, weil sie für Ränkespiele prädestiniert sind.
Gelänge es Selenski, den Armeegeneral Zaluzhny aus seinem Amt zu drängen, so wäre das zumindest für den Moment ein bedeutender machtpolitischer Sieg für ihn.
Zaluzhny ist kompetent
Zaluzhny ist ein kompetenter Militär. Das verschafft ihm Respekt nicht nur in der Truppe, sondern darüber hinaus. Er hat das erreicht, was er hatte erreichen können.
Die komplette Schlappe der Gegenoffensive Zaluzhny anzuhängen, hat mit der Realität nichts zu tun. Zaluzhny wollte an einer Stelle einen konzentrierten Sichelschnitt führen, um die Landbrücke zu teilen. Die NATO und Selenski setzten dagegen durch, dass an fünf verschiedenen Stellen angegriffen wurde. Das führte zu einer Zersplitterung der Kräfte, die an keiner Stelle stark genug waren, um auch nur die Sicherheitszone zu durchstossen. Das folgende Blutbad für die Ukrainer war die brutale Konsequenz dieser Fehleinschätzung. Insbesondere die britischen und amerikanischen Berater waren blind für die Realitäten, obwohl die Geschichte reichlich Anschauungsmaterial bereithält.
Beispiel von Manstein – sein Angriff durch die Ardennen im Mai 1940 brachte der deutschen Wehrmacht gerade durch die Konzentration der Kräfte ihren grössten Erfolg.
Zaluzhny scheint im Volk geachtet zu sein – möglicherweise ist er beliebter als Selenski.
Doch niemand traut sich, General Zaluzhny offiziell zu entlassen, weder der Präsident noch der Verteidigungsminister. Man lockt mit einer gut dotierten Position in Kiew, man bietet gerüchteweise einen Botschafterposten irgendwo in Europa an, wenn er denn nur von sich aus seinen Posten aufgibt. Doch das lehnt Zaluzhny ab.
Kyrill Budanov – Geheimdienstchef mit militärischen Ambitionen
Kyrill Budanov, der Chef des Militärgeheimdienstes der Ukraine scheint in den ganzen Ablösungsspekulationen als Nachfolger Zaluzhnys gesetzt zu sein.
Der von Präsident Selenski, favorisierte Kyrill Budanov ist ein enger Vertrauter Selenskis und unterstützt dessen Kurs ohne Vorbehalt. Ihm wird nachgesagt, dass er die britische Staatsbürgerschaft erhalten habe. Ob das wirklich stimmt, wissen wir nicht.
Budanov ist verantwortlich für verschiedene Terroranschläge an Zivilisten in Russland. Auch die Ermordung der Tochter des russischen Philosophen Alexander Dugin, Darja Dugina geht auf das Konto von Budanov.
Da Zaluzny nicht freiwillig geht, Selenski diesen auch nicht entlässt, bleibt Kyrill Budanov, dem Protegé des Geheimdienstes seiner Majestät, dem MI-6, im Moment nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen und den Posten zumindest vorläufig abzulehnen.
Am 29. Januar spitzten sich die Ereignisse zu. Zunächst kamen unbestätigte Meldungen über die Ablösung des Chefs der ukrainischen Streitkräfte durch eben diesen Kyrill Budanov. Kurze Zeit danach dementierte zuerst das Verteidigungsministerium diese Nachrichten, später dann laut Kyiv Independent auch das Büro des ukrainischen Präsidenten.
Am 31. Januar kam dann die vorläufige endgültige Entwarnung – alle bleiben auf ihren Posten.
Ein Grund wird gesucht
Doch das Ringen wird weitergehen. Die Zeit drängt. Die Ablösung eines in der Truppe angesehenen Oberkommandierenden zu Kriegszeiten ist kein einfaches Unterfangen. Das umso mehr, wenn die Lage an der Front täglich schwieriger zu werden scheint. Dazu bedarf es eines triftigen Grundes, des richtigen Anlasses und nicht zuletzt auch einer tatsächlichen personellen Alternative.
Während Selenski immer wieder fordert, die ukrainische Armee müsse in die Offensive gehen, wo immer es nur gehe, versucht Zaluzhny, die Entscheidungen der tatsächlichen Situation anzupassen, die Defensive zu stärken, ohne jedoch Angriffe auszuschliessen.
Die Widersprüche zwischen Präsident Selenski und Armeechef Zaluzhny liegen also auf der Hand und sind grundsätzlicher Natur.
Budanovs vorbehaltlose Unterstützung von Selenskis Politik ist wohl der eigentliche Grund für den angestrebten Wechsel. Der Chef des Militärgeheimdienstes wurde schon seit Wochen immer wieder als möglicher Nachfolger von den Medien ins Spiel gebracht, doch erst in den letzten Tagen schien es konkret zu werden.
Allerdings hat Budanov keine Erfahrung als Kommandeur einer kämpfenden Truppe. Er diente ausschliesslich im Geheimdienst. Die Geschichte wiederholt sich: Auch Heinrich Himmler wurde im November 1944 zum Oberbefehlshaber Oberrhein ernannt. Er übernahm diese hohe militärische Position ohne militärische Erfahrung. Wie bekannt, endete dieses Experiment so, wie es zu erwarten war – er scheiterte.
Der Abschuss des russischen Flugzeugs mit ukrainischen Gefangenen mischt die Karten neu
Einen Anlass zu finden zur Ablösung eines in der Truppe deutlich angeseheneren Mannes als Selenski, ist mit Risiken verbunden. Eine Ablösung ohne konkreten Anlass ist noch weniger vermittelbar. Zumal dann, wenn Zaluzhny seit Monaten immer wieder als Alternative für den Posten des Präsidenten genannt wurde, insbesondere von amerikanischer Seite.
Am 24. Januar 2023 wurde bekanntlich ein russisches Transportflugzeug vom Typ IL-76 mit 65 ukrainischen Gefangenen an Bord abgeschossen; wir haben darüber berichtet. Es spricht alles dafür, dass der Abschuss durch die ukrainische Luftabwehr erfolgte. In den nächsten Tagen werden wohl Beweise dafür ihren Weg in die Öffentlichkeit finden.
Laut russischen Quellen, die im Westen bisher durchgehend verschwiegen werden, hat die russische Spurensicherung eindeutige Beweise dafür gefunden, dass der Abschuss der russischen IL-76 mit amerikanischen Patriot-Raketen erfolgte.
Das russische Parlament bereitet auf Basis der vorliegenden Beweise nun eine Erklärung an den amerikanischen Kongress vor. Auch dazu gibt es in den westlichen Medien bislang keine Reaktionen.
Man darf gespannt sein, ob Selenski weiter an seiner unmittelbar nach dem Abschuss lautstark geforderten internationalen Untersuchung des Geschehens festhält. Inzwischen ist es um diese Forderung sehr, sehr still geworden.
Unabhängig davon, wer auf ukrainischer Seite tatsächlich für den Abschuss verantwortlich zeichnet – jede mögliche Variante setzt Präsident Zelensky enorm unter Druck.
Denn die Verantwortung für die ukrainische Luftabwehr fällt in den Verantwortungsbereich von Zaluzhny. Die Durchführung des Einsatzes riecht jedoch nach Geheimdienst und somit nach Budanov.
Darüber hinaus hatten beide Machtzentren offenbar auch – sei es über ukrainische Ressourcen oder mittels Unterstützung seitens der NATO oder Geheimdienste – die reale Möglichkeit, auf die Patriotsysteme durchgreifen zu können.
Fazit
Selenski wird sich entscheiden müssen. Und es könnte sein, dass er, egal welche Entscheidung er trifft, sein Ende lediglich beschleunigt.
Eine Ablösung durch den unerfahrenen Budanov könnte die Truppe insgesamt schwächen und am Ende weit stärker gegen Selenski einnehmen, als sie es ohnehin schon ist.
Ein „Weiter so“ mit Selenski, Zaluzhny und Budanov auf ihren bisherigen Posten dürfte die Widersprüche zwischen Selenski und Zaluzhny vertiefen – mit ebenso ungewissem Ausgang insbesondere für Selenski. Das wird inzwischen selbst in deutschen Mainstreammedien nicht mehr verschwiegen.
Das Gezerre um Budanov und Zaluzhny macht jedoch auch die Widersprüche bei den die Ukraine unterstützenden Mächten deutlich: Während Budanov als Geheimdienstmann und Vertrauter Selenskis insbesondere ein Kind des britischen MI-6 ist, wird Zaluzhny kaum verwunderlich und inzwischen beinahe offen vom Pentagon gestützt.
Sollte Zaluzhny seinen Posten verlieren und in die Politik wechseln, so wird er – wie die Washington Post schon vor Wochen schrieb – als erhebliche Gefahr für Selenski eingeschätzt.
Das Gesamtbild wird einer Agonie, also einer ausweglosen Leidsituation, immer ähnlicher.
9 Kommentare zu „Ukraine – ein Staat in der Agonie“