Rubel im Höhenrausch
Die westlichen Sanktionen haben das Gegenteil bewirkt: Russlands Währung ist stark wie lange nicht mehr.
Peter Hänseler
Dieser Artikel erschien am 20. Mai 2022 in der Weltwoche
Die Sanktionen des Westens hatten den Zweck, Russland in die Knie zu zwingen. Eine der härtesten Sanktionen war der Ausschluss Russlands aus dem Swift-System, um den Rubel zu zerstören. Zur Überraschung vieler kam es ganz anders – der Rubel ist im Höhenflug. So schnell er abstürzte – um 41 Prozent –, so schnell erholte er sich. Am 6. April erhielt man wieder 89 Rubel für einen Euro, wie vor dem Einmarsch.
Diese schnelle Erholung zum Ausgangspunkt kann mit dem schnellen Einschreiten der russischen Zentralbank erklärt werden, das zur sofortigen Beruhigung in der Öffentlichkeit führte, etwa durch die Erhöhung des Leitzinses von 8,5 Prozent auf 20 Prozent. Ein bank run wurde somit verhindert, und die Bevölkerung wurde mit einem Sparzins belohnt, der weit über der Inflation lag. Die russische Zentralbank hat seither den Leitzins in zwei Schritten schon wieder auf 14 Prozent gesenkt.
Damit kann die Erholung des Rubels auf das Vorkonflikts-Niveau erklärt werden.
Seitdem erstarkte der Rubel jedoch – sehr zum Schock des Westens – auf einen Höchststand seit über fünf Jahren. Am 16. Mai erhielt man für einen Euro noch 66 Rubel. Mit anderen Worten: Der Rubel hat seit Beginn der Ukraine-Krise gegenüber dem Euro um 33 Prozent zugelegt. Bloomberg berichtet, dass der Rubel weltweit die Währung mit der besten Performance seit Jahresbeginn sei. Ein riesiger Sprung. Wie ist dieser zu erklären? Es gibt primär zwei Gründe:
Grund 1: Nachdem der Westen die Fremdwährungsreserven Russlands eingefroren hatte und somit auch Zahlungen für Erdgas in Euro automatisch vom Westen abgegriffen wurden, erklärte die russische Regierung, ab April lediglich Zahlungen in Rubel zu akzeptieren. Obwohl sich die EU anfangs weigern wollte, dies zu akzeptieren, erreichten die Russen ihr Ziel. Die Gaskäufer in der EU müssen jetzt neben einem Euro-Konto bei der Gazprombank ebenfalls ein Rubel-Konto eröffnen. Die Euro-Zahlungen werden automatisch in Rubel umgetauscht. Das heisst, dass die EU alle Zahlungen für Gas in Rubel tätigt. Die EU importiert pro Monat für zirka 22 Milliarden Euro Öl und Gas aus Russland. Länder, die sich weigern, in Rubel zu bezahlen, erhalten kein Erdgas mehr – so etwa Polen. Der Preis einer Währung unterliegt dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Angesichts der Öl- und Gas-Käufe für monatlich 22 Milliarden Euro ist es logisch, dass der Rubel gegenüber dem Euro teurer wird.
Grund 2: Im März verkündete die russische Zentralbank, bis Ende Juni unbeschränkt Gold zu 5000 Rubel pro Gramm zu kaufen. Dies war ein erster Schritt, den Rubel mit Gold zu unterlegen – wenn auch nur ein Zwischenschritt, da lediglich die Kaufseite, nicht aber die Verkaufsseite abgedeckt wurde.
Dieses Vorhaben, Gold zu diesem Fixpreis zu kaufen, wurde von der russischen Zentralbank jedoch verworfen, da selbst sie vom Ausmass des Rubel-Rallyes überrascht wurde: Sie würde nach diesem Modell heute rund 73 Euro für ein Gramm bezahlen. Der offizielle Goldpreis steht zurzeit jedoch bei 56 Euro pro Gramm.
Am 26. April kamen die Russen mit einer neuen Überraschung: In einem Interview mit der Rossiskaja Gaseta erklärte der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, dass Russland an einem Plan arbeite, den Rubel mit Gold und anderen Rohstoffen zu unterlegen. Zwar zeigte sich die Präsidentin der russischen Zentralbank zu Anfang skeptisch, es ist jedoch davon auszugehen, dass der Trend zu einem Gold-Rohstoff-Rubel vorgegeben ist.
Dieses erste Signal Russlands zu einer Währung, welche einen echten Wert verkörpert, dürfte dem Rubel weiter Auftrieb geben.
Es scheint einzutreffen, was ich bereits früher ausführte: Bei der Verhängung der Sanktionen gegen Russland posaunte der Westen heraus, dass der Bär lediglich das Bruttosozialprodukt Italiens aufweise und somit leicht zu bezwingen sei. Ein fataler Denkfehler. Russland ist das grösste Land der Erde, ist netto schuldenfrei, verfügt über die mit Abstand grössten Rohstoffreserven und ist wohl das einzige Land der Erde, welches tatsächlich autark ist.
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