Judentum, Zionismus, Antisemitismus und Israel: Missbrauch von Begriffen
Politiker missbrauchen die Sprache um Blutbäder zu verursachen – Klarheit der Begriffe würde ihnen das Handwerk legen.
Peter Hänseler / René Zittlau
Einleitung
Nachdem wir in Teil 1 und Teil 2 die Fakten zur Geschichte Palästinas und Israels von 1914 bis 1956 aufgezeigt haben und vor einigen Tagen die Verbrämung der Sühne des Holocausts beleuchteten, zwingen uns die unsäglichen Aussagen von Politikern und Medien, Begriffe zu erklären, die scheinbar vorsätzlich vermischt werden.
Wir sind heute soweit, dass die vorsätzliche Vermengung der Begriffe Judentum, Zionismus und Israel mit dem Begriff Antisemitismus eine Diskussion verhindert.
Das führt dazu, dass wir uns heute in einer Situation befinden, welche 2001 bereits einmal von Präsident Bush anlässlich seiner Rede zu 9/11 heraufbeschworen wurde: «Entweder seid ihr auf unserer Seite – oder ihr seid auf der Seite der Terroristen.»
Eine verheerende Situation, die wir in unserem heutigen Artikel zu entwirren versuchen, indem wir Begriffe erörtern, um den Weg zu einer sinnvollen und lösungsorientierten Diskussion zu ermöglichen.
Bedenkliches Niveau der Diskussion
Fakt ist, dass seit Beginn der israelischen Operation in Gaza mindestens 12.000 Zivilisten, 50% davon Kinder umgekommen sind. Das bedeutet auch, wohl bis zu 20.000 Menschen wurden verwundet. Ob und wieviele Hamas-Kämpfer tot sind, ist unbekannt. Es ist jedoch ein Fakt, dass Israel in der letzten Woche ein Flüchtlingslager mit Zehntausenden zusammengepferchten Menschen mit schweren Bomben zerstörte, um ein Mitglied der Hamas zu töten – ob dieser Mann tatsächlich tot ist, ist ebenfalls unbekannt.
Dass ein deutscher Bundeskanzler Olaf Scholz sich zur Äusserung hinreissen lässt, er finde die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand oder einer längeren Kampfpause nicht richtig, «weil das ja letztendlich bedeutet, dass Israel die Hamas sich erholen lassen soll”, zeugt von einer zynischen Haltung in Sachen Menschenrechte.
Auch darin zeigt sich das Ergebnis der nicht bewältigten Sühne Deutschlands in Sachen Holocaust, die wir in unsrem Artikel «Die ungesühnten Verbrechen des Holocaust» beschrieben haben.
Diese antisemitische Haltung Nachkriegsdeutschlands schlägt jetzt ins Gegenteil, indem sich in Deutschland eine genozide Haltung gegenüber den Palästinensern entwickelt, die einen sprachlos lässt. Wer diese perverse Haltung kritisiert, wird als Antisemit abgetan, mundtot gemacht und von Medien und Politikern verfolgt.
Begriffe und ihre Bedeutungen
Begriffe und Politik
Bewusste Unklarheiten in der Nutzung von Begriffen führten zu semantischen Umdeutungen im Interesse politischer Ziele. Diese politisch-medialen Angriffe trafen auf ein Publikum, das über Jahrzehnte „sturmreif“ geschossen wurde mit einem Bildungssystem, in dem grundlegende geistes- aber auch naturwissenschaftliche Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr vermittelt werden.
Bedeutung der Begriffe
Im Folgenden präsentieren wir eine Zusammenstellung von Begriffen und Ihren Definitionen, die in der Diskussion um Israel eine entscheidende Rolle spielen, jedoch nicht richtig verwendet werden.
Judentum
«Unter Judentum versteht man die Gesamtheit aus Kultur, Geschichte, Religion und Tradition des sich selbst als Volk Israel (hebr. am jisrael, bnei jisrael) bezeichnenden jüdischen Volkes.»
Zionismus
„Zionismus (von Zion) bezeichnet eine politische Ideologie und die damit verbundene Bewegung, die auf Errichtung, Rechtfertigung und Bewahrung eines jüdischen Nationalstaats in Palästina abzielen.“
Zion wiederum ist ein Bild für die Hoffnung Israels, dass Gott über alle Feinde siegen wird. Daran knüpft sich die Vorstellung, dass alle Völker zum Zion ziehen werden und dann auf der ganzen Welt Frieden herrschen wird.
Semiten
„Semiten. Mit diesem biblischen Namen (s. Sem) werden in neuern Werken über Völkerkunde diejenigen Völker des Altertums und der Neuzeit bezeichnet, bei denen die nahe untereinander verwandten semitischen Sprachen heimisch sind.“
Die folgende Karte zeigt, welche Sprachen dazu gehören:
Semitismus
„Semitismus, ungenaue Bezeichnung für die Gesamtheit der Juden als Volksstamm, ohne Rücksicht auf Religion.”
Und / oder:
„Semitismus, Bezeichnung für das ausschließlich vom ethnologischen Standpunkt aus betrachtete Judentum. Semitist, Sprachforscher auf dem Gebiet der semitischen Sprachen.“
Antisemitismus
Judenfeindlichkeit (auch Judenhass, Judenfeindschaft, Antisemitismus, gegebenenfalls Judenverfolgung) ist die pauschale Ablehnung der Juden und des Judentums. Dieses Phänomen ist seit etwa 2.500 Jahren bekannt und hat besonders die Geschichte Europas über weite Strecken begleitet.
Antizionismus
„ablehnende Haltung gegenüber dem Zionismus.“, d.h. diese Haltung richtet sich gegen das Ziel der Zionisten, einen eigenen Staat zu haben.
Einordnung
Die Definitionen zeigen, auf was für einem semantischen Minenfeld wir uns bewegen. Jeder meint zu wissen, wer und was ein „Antisemit“ und „antisemitisch“ ist. Folgt man jedoch den wissenschaftlichen Definitionen der Begriffe dann ist ihre Verwendung in der aktuellen Politik und in den Medien in den meisten Fällen nicht adäquat oder gar schlicht falsch. Dies werden wir weiter unten nachweisen.
Das scheint nicht zufällig so zu sein. Denn das, was regelmässig als „antisemitisch“ abqualifiziert wird, ist meistens schlicht Kritik am Handeln des Staates Israel.
Kritik am Staat Israel ist nichts anderes als das – Kritik am Handeln des Staates Israel. An dem, was der Staat Israel tut oder lässt. Diese Kritik kann berechtigt sein oder nicht. Auf keinen Fall kann sie jedoch antisemitisch sein, weil sie sich gegen den Staat richtet und nicht gegen das Judentum oder gegen Juden (also die Religion). Diese Kritik am Staat kann auch nicht antizionistisch sein, denn der Staat Israel ist lediglich die erfolgreiche Umsetzung der zionistischen Idee und somit nicht zionistisch an und für sich.
Somit: Kritik am Staat Israel ist kein Antisemitismus.
Missbrauch von Begriffen
Premierminister Netanjahu
Premierminister Netanjahu sagte am 17. Oktober 2023 bei einem Treffen mit Bundeskanzler Scholz wörtlich:
«Die Hamas sind die neuen Nazis.» und «Die Hamas ist im Grunde IS.»
Diese Bezeichnung «Nazis» für die Hamas benutzte Netanjahu ausschließlich für den deutschen Bundeskanzler und bei keinem anderen der sogenannten Solidaritätsbesuche westlicher Führer in Israel. Und das war ganz kein Zufall.
Ohne eine spätere Analyse vorwegzunehmen, ist auf die Tatsache hinzuweisen, dass Israel die Hamas praktisch geschaffen und finanziell unterstützt hatte, um die säkularisierte PLO unter Yassir Arafat zu marginalisieren. Die PLO war auf gutem Wege, mit internationaler Unterstützung eine Zweistaatenlösung zu erreichen, was Israel unbedingt verhindern wollte. Israel wandte somit das klassische Prinzip von «divide et impera» an, um dies zu verhindern.
Der israelische Soziologe und emeritierte Professor für Geschichte und Philosophie, Moshe Zuckermann, äusserte sich am 17. Oktober 2023 in einem Interview wörtlich: «Keiner redet hier [in Israel] von der Hamas als antisemitisch»
Netanjahu benutzt diesen Vergleich der Hamas mit Nazis ausschliesslich und bewusst falsch, um dem deutschen Bundeskanzler einen unterschwelligen Vorwurf zu vermitteln, dem dieser unter keinen Umständen widersprechen könnte und somit die Unterstützung Deutschlands für ein durch nichts begrenztes Vorgehen gegen die Palästinenser in Gaza abzuholen. Netanjahu weiß ganz genau, welche verbalen Knöpfe er gerade bei deutschen Politikern drücken muss, um diese einerseits argumentativ zu entwaffnen und sie auf ihren Platz in dieser Geschichte hinzuweisen – das gelang ihm.
Olaf Scholz – maliziöse Falschverwendung
In seiner Erwiderung zu Netanjahus Äusserung reagiert Scholz erwartbar und komplett losgelöst von der historischen und politischen Realität indem er – unter anderem – folgendes sagt:
«Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz. Das Verherrlichen, das Feiern von Gewalt ist menschenverachtend, abscheulich. Es ist verboten, und es wird bestraft.»
Die gesamte Pressekonferenz vom 17. Oktober 2023 sehen Sie hier.
Mit dieser perfiden Vergewaltigung des Wortes «Antisemitismus» will Scholz Kritik an Israel verhindern und behauptet, dass Kritik an Israel antisemitisch ist. Wir haben oben bei der Begrifflichkeit aufgezeigt, dass dies unzutreffend ist.
Weiter schloss Scholz damit auch die beinahe 50% der nichtjüdischen Bevölkerung Israels, die israelischen Araber, die israelischen Christen, die Atheisten und die Angehörigen sonstiger Glaubensrichtungen, aus einer Diskussion aus.
Weiter verweisen wir auf Professor Moshe Zuckermann, welcher bereits 2018 folgendes sagte: «Wenn man der Opfer gedenkt, um eine Politik zu unterstützen, die neue Opfer schafft, verrät man die historischen Opfer».
Fazit
Bei jeder Diskussion, die die Politik sowie das militärische Vorgehen Israels zum Thema hat, muss man die Geschichte und die Bedeutung der benutzten Begriffe kennen und richtig sowie ehrlich anwenden.
Genau das Gegenteil ist leider der Fall.
Aufgrund dessen sehen wir uns heute mit einer grotesken, gar perversen Situation konfrontiert. Seit dem 7. Oktober sind in Gaza über 12.000 Zivilisten umgekommen, verursacht durch ein völkerrechtlich klar widerrechtliches Vorgehen der israelischen Streitkräfte.
Dieses Blutbad wird von westlichen Politikern durch eine bewusst falsche Deutung von Begriffen versucht zu legitimieren.
Zeit aufzuwachen.
16 Kommentare zu „Judentum, Zionismus, Antisemitismus und Israel: Missbrauch von Begriffen“