Israel – vom Opfer zum Täter zum Opfer – ein Hin und Her seit 80 Jahren – Teil 4
Von Camp David bis Libanon 1982 – Apartheid und Kolonialismus in Israel
Peter Hänseler / René Zittlau
Einleitung
In Teil 1 (1914-1948) unserer Serie über die Geschichte Israels beleuchteten wir die Zeit bis zur Staatsgründung. Eine Phase der illegalen und legalen Landnahme, in deren Ergebnis der Staat Israel einseitig, im Widerspruch zur UNO-Resolution 181 und gegen den Willen der arabischen Staaten gegründet wurde. Krieg vom ersten Tag an war die Folge.
Teil 2 (1948-1956) endete mit der Suez-Krise. Im Ergebnis dieses zweiten Krieges verlor Grossbritannien seine beherrschende Stellung in Nahost. Israel orientierte sich seither in allen Fragen an den USA. Ein weiteres Ergebnis war die Stationierung von UNO-Truppen an der Grenze zwischen Israel und Ägypten.
Teil 3 (1956-1973) behandelte neben dem 6-Tage-Krieg und dem Jom Kippur Krieg ein Thema, das geopolitisch kaum Beachtung findet, wenn es um Israel geht – Israels Wasserstrategie. Das erstaunt zumindest, da Israel auch in dieser Frage äußerst konsequent und ohne Rücksicht auf die Interessen seiner Nachbarstaaten vorgeht.
In diesem vierten Teil befassen wir uns mit der Entwicklung Israels seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973 bis zum Ende des Krieges im Libanon 1982.
Ursprünglich war es unsere Absicht, in vier Teilen die Geschichte Israels bis zum 7. Oktober 2023 darzustellen. Bei der Recherche fanden wir allerdings viele Details, die wir für derart wichtig erachten und somit unsere Planung hinfällig machten. Vor allem stießen wir auf ein immer gleiches Muster, nach dem Israel die Konflikte mit seinen Nachbarstaaten und Opponenten praktisch in jedem Fall bewusst provozierte, um Gründe für ein militärisches Vorgehen zu fabrizieren. Ziel war seit 1948 die Schaffung eines Grossisrael einschließlich der Vertreibung der einheimischen arabischen Bevölkerung.
Somit verschreiben wir uns den detaillierten Fakten, was unsere Serie verlängert.
Vom Jom-Kippur-Krieg bis 2006
Ägyptens Misserfolg führt zur Annäherung an die USA
Militärisch endete der Jom-Kippur-Krieg zwar im Oktober 1973, politisch abgeschlossen wurde er jedoch erst am 21. März 1979 durch das Camp David Abkommen, das eine grosse politische Wende im Nahen Osten brachte.
Bereits nach dem 6-Tage-Krieg und noch vor dem Jom-Kippur-Krieg kam es zu wesentlichen politischen Verschiebungen in Ägypten.
Der Nachfolger von Gamal Abdel Nasser, Anwar as-Sadat, suchte zwar 1973 den Befreiungsschlag gegen Israel, indem Ägypten vergeblich die ägyptische Halbinsel Sinai zurückerobern wollte, orientierte sich danach jedoch politisch nach den USA.
Das Camp David Abkommen von 1979
Diese Annäherung von Ägypten ermöglichte es den Vereinigten Staaten im September 1979 das Abkommen von Camp David zu vermitteln.
Darin verpflichtete sich Israel zur Räumung des Sinai. Im Gegenzug garantierte Ägypten die freie Passage im Suezkanal und die Offenhaltung der Strasse von Tiran.
Arabische Liga schwächt sich selbst
Mit diesem Vertrag verletzte Ägypten jedoch seine Verpflichtungen in der Arabischen Liga und verriet seine Verbündeten wie etwa Syrien, das die Golanhöhen nicht zurückerhielt. Das Abkommen von Camp David war somit nichts anderes als ein divide-et-impera-Schachzug der USA und Israels, die damit die arabische Front gegen Israels Expansionspolitik aufgeweichten. Profiteure waren Israel und Ägypten, die Opfer die Palästinenser und die übrigen arabischen Staaten.
Die Arabische Liga schloss zwar Ägypten aufgrund dieser Illoyalität aus, verlor damit jedoch auch eines seiner wichtigsten Mitglieder und schwächte sich dadurch selbst. 1989 wurde Ägypten wieder in die Liga aufgenommen. Diese erlangte jedoch ihre Schlagkraft erst wieder 2023 mit dem Friedensschluss zwischen Saudi-Arabien und Iran (Nichtmitglied) sowie Saudi-Arabien und Syrien, welches 2023 wieder in die Liga aufgenommen wurde. Wir berichteten darüber im Artikel «Friede bricht aus – arabischer Frühling ohne Blut»
Der Libanon-Krieg 1982
Ein Krieg folgt dem Drehbuch Ben Gurions
In Teil 3 befassten wir uns mit der Strategie Ben Gurions und wiesen nach, dass Grossisrael tatsächlich im Drehbuch des Staates Israels steht und dessen Schaffung seit 1948 schrittweise aber konsequent verfolgt wird.
Unser Zitat aus Ben Gurions Tagebuch belegt, dass die Zerstörung Libanons ein Schritt zur Realisierung Grossisraels ist. Wir halten die Worte Gurions für ein Sinnbild der israelischen Politik, weshalb wir es hier noch einmal publizieren:
«Die Achillesferse der arabischen Koalition ist der Libanon. Die muslimische Vorherrschaft in diesem Land ist künstlich und kann leicht gestürzt werden. Ein christlicher Staat sollte dort errichtet werden mit seiner südlichen Grenze am Fluss Litani. Wir würden einen Bündnisvertrag mit diesem Staat unterzeichnen. Dann, wenn wir die Stärke der Arabischen Liga gebrochen und Amman bombardiert haben, könnten wir Transjordanien auslöschen; danach würde Syrien fallen. Und wenn Ägypten es immer noch wagen sollte, gegen uns Krieg zu führen, würden wir Port Said, Alexandria und Kairo bombardieren. Damit würden wir den Krieg beenden und die Rechnung mit Ägypten, Assyrien und Chaldäa im Namen unserer Vorfahren begleichen.»
Kennt und versteht man die Strategie des ersten Premierministers Israels, so ist der Krieg gegen Libanon im Jahre 1982 alles andere als eine Überraschung.
Beginn
Dieser Krieg fand zeitlich weit entfernt vom 6-Tage-Krieg von 1967 und Jom Kippur 1973 statt. Dennoch steht er in einem engen Zusammenhang mit ihnen. Ursächlich und sogar konzeptionell lässt er sich bis auf die ersten Tage der Existenz des Staates Israel zurückführen.
Der 1982 von Israel angezettelte Krieg im Libanon ist ein weiterer, den Israel außerhalb des Territoriums führte, das es mit der Unabhängigkeitserklärung von 1948 für sich in Anspruch nahm. Die Gemengelage, die Israel als Kriegsgrund für sich beanspruchte, hatte Israel durch eigenes Handeln über viele Jahre hinweg erst selbst geschaffen.
Vertreibung
Vertreibungen waren und sind bis heute ein beherrschendes Element israelischer Politik.
Alle israelischen Kriege seit 1948 bewirkten Flucht und Vertreibung unter den Palästinensern. Es gibt lange Listen von palästinensischen Orten, die es auf Grund dieser menschenverachtenden Politik einfach nicht mehr gibt. Denn nach der Vertreibung wurden diese Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht. Es sollte keine Erinnerung bleiben, denn Erinnerung bewirkt Widerstand.
Die sich aus den gezielten israelischen Vertreibungen ergebende Not war von Anfang an so groß, dass sich die UNO gezwungen sah, ein spezielles Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten einzurichten, das im Dezember 1949 gegründete UNRWA. Nach Angaben des UNRWA gab es Stand 2019 offiziell 5,5 Millionen registrierte Palästina-Flüchtlinge. Diese Zahl entspricht in etwa der nichtarabischen Bevölkerung Israels. Die tatsächliche Zahl der Flüchtlinge dürfte deutlich höher sein.
Auch die Kriege von 1967 und 1973 führten zu Hunderttausenden Vertriebenen, Flüchtlingen, Heimatlosen. Zu großen Teilen auch in den Libanon.
Jordanien und der «Schwarze September»
Die Okkupation des Westjordanlandes durch Israel 1967 vertrieb eine große Zahl von Palästinensern nach Jordanien. Mit den jordanischen Truppen gingen auch die bewaffneten Kräfte der PLO und anderer Palästinenserorganisationen nach Jordanien.
Dort wollten sie bestimmte politische Veränderungen gewaltsam zu ihren Gunsten erzwingen, was einem Putschversuch gleichgekam. Letztlich mündeten die teils mit schweren Waffen ausgetragenen Kämpfe in den jordanischen Bürgerkrieg von 1970-71. Selbst syrische Truppen griffen auf Seiten der Palästinenser in den Konflikt ein. Ihren Höhepunkt erreichten die Kämpfe im September 1970. Der Begriff «Schwarzer September» bürgerte sich bei den Palästinensern ein.
Die Vertreibung der PLO aus Jordanien nach Libanon
Der jordanische Staat, welcher seit Beginn als einziger arabischer Staat auf Grund seiner britischen Historie prowestlicher ausgerichtet war als die anderen, griff hart durch, auch mit Hilfe großzügiger Waffenlieferungen aus Großbritannien und den USA. Er vertrieb die palästinensischen bewaffneten Gruppierungen außer Landes. Diese gingen nach Libanon.
Im Ergebnis all dessen gab es 1982 nach verschiedenen Angaben zwischen 270.000 und 450.000 palästinensische Flüchtlinge allein im Libanon, einem armen Land mit einer Bevölkerung von etwa 5 Millionen.
Heterogene Milizstrukturen im Libanon
Wie von Ben Gurion beschrieben herrschten zu jener Zeit schon seit den 1950-er Jahren erhebliche Spannungen zwischen arabischen Nationalisten und prowestlichen Christen. Die Ankunft der bewaffneten PLO-Kämpfer 1970-71 stärkte die arabischen Nationalisten und bewirkte ein Anheizen der Spannungen. Im Frühjahr 1975 brach dann der libanesische Bürgerkrieg offen aus. Ein Ende fand er erst 1990. Die israelische Invasion war also ein Teilaspekt in einer ohnehin schon unübersichtlichen Lage.
Krieg von den USA stillschweigend genehmigt
Zu Beginn des israelischen Libanon-Krieges 1982 agierten im Libanon neben prowestlichen und proarabischen Milizen auch syrische Truppen.
Israel begann diesen Krieg 1982 mit Wissen der USA ohne Notwendigkeit. Als offiziellen Grund für sein Eingreifen schob Israel zwei Attentate vor: eins auf die israelische Botschaft in Paris 1982 und ein weiteres auf einen israelischen Diplomaten in London im selben Jahr. Israel legte diese Aktionen der PLO zur Last und interpretierte sie als Bruch des Waffenstillstandsabkommens von 1981 zwischen beiden Seiten.
UNO-Beschlüsse werden einmal mehr missachtet
Bei Kriegsbeginn marschierte Israel durch die entmilitarisierte Zone in den Libanon ein. Die UNO hatte mit der UNIFIL – eine Beobachtermission der UNO im Libanon – diesen Puffer zwischen Israel und Libanon im Grenzgebiet des Libanon zu Israel geschaffen, um eine militärische Eskalation zwischen beiden Ländern zu verhindern.
Damit missachtete Israel ein weiteres Mal in seiner Geschichte Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrates. Da dies mit Duldung der ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates USA und Frankreich erfolgte, die beide Truppen vor Ort hatten, fürchtete Israel keine Folgen.
Israelische Ziele
Israels Einmarsch beeinflusste maßgeblich den bereits laufenden Bürgerkrieg. Ziel der israelischen Aggression war zum einen die Zerschlagung der Infrastruktur der PLO im gesamten Libanon. Dieses Ziel erreichte Israel.
Darüber hinaus wollte Israel den Einfluss Syriens im Libanon beenden. Letzteres als Voraussetzung für das dritte Ziel – die Installation eines proisraelischen Regimes. Zur Erreichung seiner Ziele führte Israel einen rücksichtlosen Krieg, selbst vor Massakern in Flüchtlingslagern machte Israel keinen Halt. Genannt sei hier das Massaker von Sabra und Schatila. Israelische Truppen umstellten die Lager. Als Begründung diente die Behauptung, dass aus dem Lager heraus bewaffneter Widerstand geleistet wurde. Den Rest überließ Israel dann verbündeten Milizen. Deren masslose Gewalt richtete sich jedoch nicht gegen bewaffnete Gruppierungen, sondern gegen die unbewaffneten Flüchtlinge in den Lagern. Die Zahl der abgeschlachteten Opfer ist bis heute unbekannt, die Zahlen bewegen sich zwischen 450 und 3000 Toten.
Der Einfluss Syriens im Libanon wurde geschwächt. Allerdings konnte Israel den Einfluss Syriens nicht komplett ausschalten. Libanon kam nicht zur Ruhe und blieb ein instabiler Staat mit häufig wechselnden Regierungen, was Israel zugute kam.
Im arabischen Raum behauptete Syrien seinen Einfluss nicht nur, es ging gestärkt aus dem Krieg hervor. Eine bedeutende Rolle spielte dabei die Tatsache, dass Syrien sich im Libanon für die Palästinenser einsetzte – gegen Israel und die USA.
Israel hielt im Ergebnis dieses Krieges den Südlibanon bis zum Jahr 2000 besetzt; bis 1985 den gesamten Süden, danach schuf es eine Pufferzone zu Israel. Das damit verbundene Ziel, Angriffe auf Israel zu verhindern, konnte nicht erreicht werden.
Einen Faktor hatte Israel 1982 jedoch nicht auf dem Schirm – den Iran. Im Oktober 1982 entsandte der Iran ein Kontingent von 2000 Mann seiner Revolutionsgarde nach Libanon. Der daraus resultierende Einfluss führte letztlich zur Gründung der Hisbollah.
Fazit
Der Krieg von 1982 im Libanon war in seiner Konsequenz lediglich eine Weiterführung der von Ben Gurion 1948 festgehaltenen Strategie Israels. Obwohl es Israel mit dem Krieg nicht gelang, den Libanon zu beherrschen, so gelang es ihm dennoch, diesen Staat, der in den 60-ger Jahren eines der reichsten Länder der Region war und die Schweiz des Nahen Ostens genannt wurde, bis heute zu destabilisieren. Die nachhaltige Zerschlagung staatlicher Strukturen im Libanon nützte Israel. Doch sie war gleichzeitig die Voraussetzung für den Aufstieg der Hisbollah.
Unsere Serie wird in den nächsten Tagen fortgesetzt.
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