Die Rechnung, bitte!

Falls es einen Gewinner gibt in diesem Blutbad, das ursprünglich Subprime-Krise hiess, dann sind es die USA. Die Amerikaner haben ihre Probleme exportiert und lassen sich nun mit einer Dollarschwemme gratis refinanzieren. Respekt. 

Peter Hänseler 

Dieser Artikel erschien am 30. Oktober 2008 in der Weltwoche

Seit einem Jahr werden immer neue Zahlen herumgereicht, um zu berechnen, wie viel kosten könnte, was als Subprime-Krise anfing und sich aufgrund von Augenwischerei zu einer veritablen Katastrophe entwickelt hat. Dabei sind die Rollen von Verursachern einer­seits und jenen, welche die Zeche zahlen, etwas ungewöhnlich verteilt. 

Die Produzenten der Studien, die danach trachten, die Kosten zu beziffern, sind in die­sem Fall auch die Täter der Katastrophe. Wohl nur in der Finanzwelt erstellt der Täter das Gutachten für sich selbst. Im Strafrecht etwa wartet der Täter in der Zelle den Prozess ab, und der Gutachter sitzt in einem Büro. Ausser­dem ist es unmöglich, Produkte zu bewerten, die keiner versteht: keine vielversprechende Strategie. Warum nicht alles umkehren und ein paar wenige, einfache Parameter heranzie­hen, welche man zumindest abschätzen kann? 

Erstens kann man davon ausgehen, dass un­gefähr 60 Prozent der Steigerung des amerika­nischen Bruttosozialproduktes in den letzten zehn Jahren auf den Immobilienboom zurück­zuführen sind. Zweitens kann man davon aus­gehen, dass – wie von den Amerikanern nicht anders zu erwarten – das daraus gewonnene Geld nicht investiert, sondern konsumiert wurde. 

Das Bruttosozialprodukt der USA beträgt etwa 14 000 000 000 000 Dollar. Brennt es be­reits in den Augen? Das sind 14 Billionen. Das Wachstum betrug in den USA in den letzten Jahren beachtliche 4 Prozent; jetzt wissen wir auch, warum. 60 Prozent davon sind dann mehr oder weniger 3,5 Billionen Dollar. Tönt das nicht nach viel? – Ist es auch. Mit diesem Geld könnte man die UBS rund 70-mal kaufen. 

Eine Immobilienblase entstand aber nicht nur in den USA; im Verhältnis noch schlimmer steht es um den spanischen Markt, auch der englische liegt auf der Intensivstation. Das Problem ist also gigantisch. Der Markt spürt das. Das ist auch der Grund, warum die Märkte trotz milliardenschweren Testosteronspritzen der Zentralbanken nicht auf Touren kommen. Hinzu gesellen sich noch die Gesundbeter wie zum Beispiel der Verwaltungsratspräsident der UBS, Peter Kurer, der bis vor ein paar Wo­chen verkündete, dass alles in Ordnung sei. Gesundbeter treffen sich normalerweise in Lourdes und verzeichnen gemischten Erfolg. 

Das Gesundbeten in der heutigen Situation beschert astronomische Kosten, denn Reagie­ren kostet ein Vielfaches von Agieren. Wäre man die Sache vor einem Jahr realistisch und nicht zweckoptimistisch angegangen, hätte man die Kosten für die Aufräumarbeiten nun sicher besser im Griff. Die Amerikaner mana­gen dieses Problem einmal mehr am gerissens­ten: Sie füllten die europäischen Banken mit Schundprodukten ab wie Blondinen in einer Nachtbar. Die UBS wurde so trunken, dass sie bis kurz vor dem Kollaps behauptete, dass alles gut werde – man stelle sich Herrn Kurer leicht überschminkt mit blonder Perücke vor. 

Eine Million Einfamilienhäuser 

Die Schweizerische Nationalbank ist nun indi­rekt stolze Besitzerin von rund einer Million Einfamilienhäusern in den USA (geschätzter Wert pro Haus: etwa 50 000 Dollar). Das wird speziell jene Schweizer Steuerzahler freuen, die in den letzten Jahren von einem leicht bla­sierten Kundenberater erfahren mussten, dass die Finanzierung des Einfamilienhäuschens nicht möglich sei. Die Kreditsicherheit sei oberstes Gebot. Trotz veritablem Sparbatzen, Zweiter und Dritter Säule und gesichertem 

Einkommen würden die Gesuchsteller die stringenten Kreditregeln leider nicht erfüllen. Jetzt haben wir alle Einfamilienhäuser – zu­mindest bezahlt; es wohnt ein anderer darin, und das Gebäude befindet sich nicht im Töss­tal, sondern in Cleveland. 

Weiter sind die Amerikaner die Einzigen, welche die Druckmaschine anwerfen können, um des Problems Herr zu werden — das ist bereits geschehen. Die Europäer können das nicht, denn dann müssten sich ja alle Eurolän­der einigen, was unmöglich ist. Die Engländer, welche immerhin so intelligent waren, nicht dem Euro-(Disney-)Land beizutreten, hatten denn auch den besten europäischen Plan.

Geht der Dollar dadurch in den Keller? Müsste er, aber es passiert nicht. Der Dollar ist 15 Pro­zent höher als noch vor ein paar Monaten. Die Erklärung ist einfach: Alle wollen in den Dol­lar und fliehen in die kurzfristigen Treasury Bills der Amerikaner, welche nicht etwa mit 2 Prozent verzinst werden wie noch vor kurzem, sondern gar nicht mehr – null Prozent. Die Amerikaner refinanzieren also gratis. Der Greenback ist als Weltwährung zurück, und die kühnen Träume der Europäer, ihren Euro zu globalisieren, sind somit bis auf weiteres kläglich versandet. 

Die USA haben wieder einmal alle vorge­führt. Jene Amerikaner, die ihre Existenz ver­loren haben, spucken jetzt in die Hände und werden den Karren wieder aus dem Dreck zie­hen, während die Europäer wohl nach Real­lohnerhöhungen schreien, ein bisschen Kin­dergeld erhöhen, auf der 35-Stunden-Woche beharren und sonst lamentieren. 

Die Schweiz wird die Kröte UBS wohl schlu­cken und verdauen müssen. Sie ist jedoch, re­lativ betrachtet,sehr gut aufgestellt. Wir arbei­ten mehr als die meisten anderen, haben einen flexiblen Arbeitsmarkt, stellen Produkte her, die man tatsächlich braucht, und haben eine im Vergleich tiefe Konsumentenverschul­dung. Immobilienkrise? Keine Spur. Dem blasierten Kundenberater sei Dank! 

Die Rechnung, bitte!

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