Die geplante Zerstückelung Russlands
Dekolonisierung und Rekonstruktion Russlands – dafür gibt es Pläne – Made in USA!
René Zittlau
Einleitung
Wir leben in einer Welt, die sich in den letzten Jahren in einer Weise und in einem Tempo verändert hat, die viele nach Luft schnappen lässt. Rohstoffe kommen nicht mehr auf den bisherigen Wegen und oft nicht mehr von den über Jahre aufgebauten Lieferanten. Die Energiepreise wurden zu einer schwer kalkulierbaren Größe. Großkonzerne verlassen ihr Stammland. Die gefühlte Inflation und die amtlich verlautbarte passen irgendwie nicht zusammen.
Die Sollbruchstelle
Das wirft Fragen auf. Wer nach Antworten sucht, ob in Medien oder im Gespräch mit Freunden, Kollegen, Geschäftspartnern, kommt eher früher als später auf die große Politik zu sprechen. In der Konsequenz dessen auf China, Öl, Gas, die EU, Sanktionen, Russland, die Welt, die Ukraine…
Und spätestens an diesem letzten Punkt wird das Spektrum der offiziellen Begründungen eng. Viele kann man schlicht mit dem folgenden Satz subsumieren:
«Russland ist der Verursacher.»
Das ist die beabsichtigte Sollbruchstelle.
Folglich – so die Schlussfolgerung – muss der Verursacher bestraft werden. Und wenn Sanktionen nicht die gewünschte Wirkung entfalten, dann muss man eben zu drastischeren Mitteln greifen.
„Forum der freien Staaten Postrusslands“
Die Palette der gedanklichen und tatsächlichen Maßnahmen, die gegen Russland in Stellung gebracht wurden und weiterhin werden, ist inzwischen kaum noch zu überblicken. Eine, von der die meisten wahrscheinlich kaum etwas gehört haben werden, wird unter dem Begriff „Dekolonisierung Russlands“ geführt.
Die folgende Karte ist als eine Art Aktionsplan zu verstehen, was mit „Dekolonisierung“ eigentlich gemeint ist.
Die Überschrift lautet:
„Karte der freien Staaten Postrusslands
Dekolonisierung und Rekonstruktion Russlands
Es ist Zeit, den indigenen Völkern und den Regionen ihre Unabhängigkeit und Souveränität zurückzugeben“
Zu finden ist diese Karte auf der Webseite vom „Forum der freien Nationen Postrusslands – eine Plattform für Analysen, Kommunikation und Diskussionen, um optimale Lösungen zu finden.“
Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es verschiedene Karten dieser Art gibt, die sich lediglich marginal voneinander unterscheiden. Hier wird sichtbar, was gemeint ist:
Die Filetierung Russlands fällt nach dieser Kartenlesart ein wenig anders aus, doch das Prinzip bleibt dasselbe.
Was hier beinahe unschuldig als Diskussionsplattform vorgestellt wird, hat es bei näherer Betrachtung in sich. Dieses Forum hielt inzwischen in schneller Folge mehrere Kongresse in Europa und den USA ab, auf denen besprochen wurde, wie Wirklichkeit werden kann, was die Karte nahelegt – die Zerstückelung Russlands in leicht handhabbare Einzelstaaten:
Im Zeitraum von Mai 2022 bis April 2023 hielt dieses Forum bereits 6 Kongresse in verschiedenen Ländern Europas und in den USA ab, darunter am 31. Januar 2023 im Europaparlament in Brüssel.
Die obige Karte hat ihren geistigen Ursprung allerdings nicht in dem erwähnten Forum. Die gedankliche Urheberschaft all dessen findet sich in den USA, in der offiziellen „Commission on Security and Cooperation in Europe (CSCE)“, also in dem „Ausschuss für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ der US-Regierung.
Dieser Ausschuss wird von folgenden Personen geleitet:
Fatima Tlisova – Fellow bei der National Endowment for Democracy; aus Russland stammend
Botakoz Kassymbekova – Oxus Society, Postdoktorandin am Institut für Geschichte und Sozialwissenschaften der John Moores Liverpool University, neuerdings an der Universität Basel ebenfalls als Postdoktorandin tätig; aus Kasachstan stammend. (https://dg.philhist.unibas.ch/de/personen/botakoz-kassymbekova/ )
Erica Marat – National Defense University (USA); aus einer der ehemaligen sowjetischen mittelasiatischen Republiken stammend, genaue Angaben dazu sind in ihren biografischen Angaben nicht veröffentlicht
Hanna Hopko – Vorsitzende der Konferenz „Democracy in Action“, ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der Werchowna Rada, also des Parlaments der Ukraine; Ukrainerin
Casey Michel – Hudson Institut
Neben vier Frauen aus dem postsowjetischen Raum zieht in diesem Ausschuss wohl vor allem Casey Michel als Mitarbeiter des Hudson Institute in Washington die Fäden. Dieses Haus ist eng mit der US-Regierung verbunden. Auf seiner Webseite wirbt es wie folgt für seine Expertise:
„The Center on Europe and Eurasia is dedicated to advancing American interests and revitalizing our alliances for today’s era of great power competition.”
Auf Deutsch:
„Das Center für Europe und Eurasia widmet sich der Förderung amerikanischer Interessen und der Wiederbelebung unserer Allianzen in der heutigen Zeit des Großmachtwettbewerbs.“
Einer seiner vielen Experten ist Michael R. Pompeo, Ex-US-Außenminister und Ex-Direktor der CIA, der sich am 17. Mai 2023 mit dem ukrainischen Präsidenten Zelensky traf.
Es ist sicher kein Zufall, dass dieses Institut als Organisator des letzten Kongresses vom 25. – 28. April 2023 in Washington auftrat, zumal es auf seiner Webseite die Dekolonisierung Russlands als „moralischen und strategischen Imperativ“ bezeichnet.
Wie ernst die USA es mit der Zerstörung der Russische Föderation meinen, zeigt auch die mediale Präsenz dieses Forums. Neben der o.g. Webseite wird eine breite Palette digitaler Kontaktmöglichkeiten ausgeschöpft, Facebook, Twitter, Telegram. Doch das ist noch lange nicht alles. Es gibt eine „Deklaration zur Dekolonisierung Russlands“, eine „Verfassung der Föderativen Staaten Sibiriens“ und anderes mehr.
Insbesondere die „Deklaration zur Dekolonisierung Russlands“ lässt keine Fragen offen, wer hier das Sagen hat, wer hier wen instrumentalisiert und welche Ziele angestrebt werden. Sie ist ein höchstprofessioneller Aufruf zu Sabotage, Streik, Widerstand gegen die Staatsgewalt, zum Sturz der rechtmäßigen russischen Regierung, zur Zerstörung der Russischen Föderation als Staat und nicht zuletzt ebenso zur Desertation russischer Soldaten, auch indem sich diese der ukrainischen Armee ergeben sollen.
Demnach ist der „Prozess der vollständigen und allgemeinen Dekolonisierung Russlands … begründet durch:
- die Verletzung der grundlegenden Rechte und Freiheiten der indigenen Völker und der kolonisierten Regionen, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte garantiert sind.
- eine systematische Politik des inneren Terrors und der Repression in der Russischen Föderation.
- die systematische Umsetzung imperialer Politik und diskriminierender Praktiken in der Russischen Föderation, die eine untergeordnete koloniale Stellung unserer indigenen Völker und Regionen festschreiben und Bürger aufgrund ihrer indigenen und/oder regionalen Herkunft diskriminieren.
- durch die Anwendung imperialer Praktiken des Ökozids und die Enteignung unserer Regionen und indigenen Völker von ihrem traditionellen Land, ihren Territorien und Ressourcen werden wir daran gehindert, unser Recht auf Entwicklung wahrzunehmen.
- durch die systematische Zwangsassimilation und Beeinflussung zum Zwecke der Kolonisierung und Zerstörung unserer Kulturen, Sprachen und Bildungssysteme und anderer wesentlicher Aspekte unseres Lebens.
- durch die Unmöglichkeit der Ausübung der Selbstverwaltung durch ihre rechtmäßig gewählten Vertreter, die systematische Verweigerung des Rechts unserer kolonisierten Regionen und der indigenen Völker auf Beteiligung an der Entscheidungsfindung in Fragen, die unsere Rechte betreffen.
- durch die Verletzung der Rechte indigener Völker und kolonisierter Regionen der Russischen Föderation werden gefährliche Materialien – Atomwaffen und andere Massenvernichtungswaffen – auf unserem Territorium gelagert.“
Damit auch nicht der mindeste Zweifel aufkommt, dass die Russen und Russland sozusagen gottgegeben böse und niederträchtig sind – und das nicht erst seit Kurzem, sondern über die unterschiedlichsten Gesellschaftsmodelle hinweg seit langer Zeit, lassen die Autoren dieser „Deklaration“ die Welt im Folgenden wissen:
„Die oben genannten kolonialen Politiken und Praktiken bestehen seit Jahrhunderten und haben dazu geführt, dass unsere indigenen Völker und kolonisierten Regionen Opfer von historischem Unrecht und in einigen Fällen von Zwangsvertreibung und Völkermord geworden sind. Die koloniale Politik manifestiert sich heute in einem immer höheren Maß an Staatsterrorismus und Unterdrückung.
Die Russische Föderation ist heute ein terroristisches Land, das von Kriegsverbrechern geführt wird. Die Serie von irrsinnigen Kriegen, die die russische imperiale Führung in den letzten 30 Jahren entfesselt hat, beraubt unsere indigenen Völker und kolonisierten Regionen des Wichtigsten – des Rechts auf Leben, da die Mobilisierung zuallererst die indigenen Völker und kolonisierten Regionen betrifft, die mobilisiert und als «Kanonenfutter» benutzt werden.“
Natürlich werden weitere Bezüge zu den Ereignissen in und um die Ukraine nicht ausgelassen. Es fehlt auch nicht der Hinweis darauf, dass sich „alle konstruktiven Kräfte“ weltweit organisieren sollen mit dem Ziel einer „friedlichen Dekolonisierung, Entwicklung und Wiederherstellung der Souveränität und Unabhängigkeit ihrer Länder“.
Jeder, der sich mit diesem Thema befasst, sollte sich vergegenwärtigen: Dieses Dokument ist „made by USA“, einem Land, das – konfrontiert mit den Kernpunkten der obigen Deklaration – allen Grund hätte, über sich und seine Geschichte tiefgründig nachzudenken.
Ein wenig Landeskunde und Statistik
Wer sich mit der inzwischen Tausend Jahre währenden Geschichte Russlands beschäftigt hat, kann über das oben Gesagte nur den Kopf schütteln. Es ist nicht so, dass es keine Ungerechtigkeiten, keine Grausamkeiten gab. Es gab derartiges. Es gab Vertreibungen, Umsiedlungen, Pogrome. Das leugnet niemand. Doch um Geschichte zu verstehen, ist es unabdingbar, sich in die Zeit und ihre Bedingungen zurückzuversetzen.
Laut Wikipedia leben in Russland ca. 146 Millionen Menschen, weit über 100 Nationalitäten. Die russischsprachige Ausgabe spricht von mehr als 190 Nationalitäten, die deutschsprachige von mehr als 100. 80% der Bevölkerung sind Russen, das heißt ca. 117 Millionen. Über die unterschiedliche Zahl der Nationalitäten möchte ich an dieser Stelle nicht streiten. Wenn wir von einem Mittelwert ausgehen, bedeutet das, dass sich statistisch etwa 150 Nationalitäten auf 29 Millionen Menschen nichtrussischstämmiger Bevölkerung verteilen. Pro Nationalität sind das also im Schnitt etwa 193.000 Menschen.
Eine Übersicht über die zahlenmäßig bedeutendsten indigenen Minderheiten Russlands bietet Wikipedia.
Große und kleine Staaten
Die Größe eines Landes, eines Volkes, einer Staatengruppe hat eine große Bedeutung für die Entwicklung. Je größer die Gemeinschaften sind, desto mehr Einfluss haben sie tendenziell. Beispiele aus der Geschichte gibt es zuhauf.
Deutschland war als Staat mehr oder weniger unbedeutend und ohne Einfluss, solange es sich darin gefiel, in über 200 Einzelstaaten zu existieren. Nach der Gründung des Deutschen Reiches änderte sich das binnen kürzester Zeit.
Die USA erkannten sehr früh, dass Größe sexy ist und schufen nicht nur den Unionsstaat, sondern weiteten diesen durch Eroberungen schnell aus.
Einige z.T. gar nicht so kleine europäische Staaten erkannten, dass eine gewisse Größe eines Staates oder einer Staatengruppe wichtig ist, um Einfluss auf die Welt zu nehmen und schufen zunächst die EWG, später dann die Europäische Union. Dieser Union schlossen sich dann sukzessive mehr oder weniger freiwillig viele kleine europäische Staaten an. Einfach aus dem Wissen heraus, dass Größe einen gewissen Schutz vor Ungemach aller Art bietet.
Mit dem Wissen um die Größe der indigenen Völker Russlands und der Bedeutung von Größe in den zwischennationalen Beziehungen stellen sich automatisch folgende Fragen:
- Wer kann ein Interesse an der Aufspaltung eines großen Landes wie Russland in 40 oder gar 50 mehr oder weniger ethnisch reine Einzelstaaten haben? Es sollte dabei Beachtung werden, dass in vielen dieser staatlichen Einzelgebilde Russen wohl eine ähnliche Rolle zugedacht werden würde wie z.B. im Baltikum, in Moldawien oder der Ukraine und den anderen postsowjetischen Staaten.
- Wer kann interessiert sein daran, dass diese 40-50 z.T. riesigen und z.T. miniaturhaften Einzelstaaten von jeweils Minivölkern bewohnt werden?
- Wer kann ein Interesse haben an der Existenz dieser 40-50 Einzelstaaten, denen jede Tradition als Nationalstaat fehlt, denen praktisch jegliche Verwaltungsstrukturen für ein Staatswesen fehlen und die ökonomisch unmöglich allein existenzfähig sein können?
- Was macht die Existenz dieser 40-50 Einzelstaaten für diejnigen so wertvoll, die eine Organisation wie das „Forum der freien Staaten Postrusslands“ gründen und mit aller Macht vorantreiben?
Die Antworten liegen auf der Hand und führen … direkt zu BRICS, SOC, EAEU, Arabische Liga.
Kleiner Exkurs in die Geschichte
Pläne zur Aufteilung des grössten Landes der Erde sind nicht neu. Die empfindlichen Reaktionen der russischen Führung können daher nicht verwundern. Für das Maß an materieller und vor allem auch menschlicher Verwüstungen, das Russland infolge derartiger Pläne zu ertragen hatte, gibt es historisch keinen Vergleich.
Jedes Mal begannen diese Unterfangen mit einem Plan, oder auch mehreren. Hier präsentieren wir mehrere vom letzten großen Versuch, Russland aufzuspalten:
Bei diesem einen Plan blieb es nicht. Die Begierden wuchsen:
Die Originalkarte ist auf Russisch. Die Übersetzung besorgte ein Übersetzungsprogramm, wodurch sich das etwas holprige, jedoch dennoch verständliche Deutsch erklärt.
Doch auch das war nicht des Wahnsinns letzter Schluss. Im Folgenden eine Karte aller deutschen realisierten und geplanten Reichskommissariate:
Die letzten beiden Karten schauen wir uns in einem Detail genauer an. Denn dieses Detail ist wichtig zum Verstehen der Gegenwart.
Auf beiden findet sich die Bezeichnung „Moskowien“. Es ist die in Europa im Mittelalter ab dem 14. Jahrhundert bis etwa 1800 gebräuchliche Bezeichnung für die Moskauer Fürstentümer. In Russland selbst war dieser Begriff nie gebräuchlich. Nach 1800 sprach man auch in Europa von Russland.
Erneut benutzt wurde dieser Begriff erst wieder im Dritten Reich für das geplante gleichnamige Reichskommissariat. Nach dem Krieg wurde er nur noch im nationalsozialistischen Sinne gebraucht, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Weißrussland und der Ukraine.
Wenn in der heutigen Ukraine also von Moskowitern, Moskaliern und ähnlichem gesprochen wird, so ist dieser Begriff eindeutig in jenem deutschen Sinne konotiert, so eindeutig wie bestimmte Grussformeln, die neuerdings selbst deutsche Kanzler sich nicht versagen können zu benutzen.
Die Aussagen der russischen Führung – Fazit
Der russische Präsident sprach in seinen Reden immer wieder davon, worum es in dem Konflikt in der Ukraine, also in dem Konflikt mit dem Westen, für Russland geht – um seine Staatlichkeit in der bisherigen Form. Um die Existenz Russlands insgesamt. Die führenden Politiker im Westen machten sich darüber lustig, zogen die russische Argumentation ins Lächerliche.
Gleichzeitig taten und tun USA, NATO und EU alles, um den Konflikt nicht nur in die Länge zu ziehen, sondern sie erhöhen ständig den Einsatz. Alles in der Hoffnung, Russland doch noch endlich zu brechen, oder wie es die RAND-Corpration ausdrückt zu überdehnen.
Die Fakten rund um das hier vorgestellte „Forum der freien Staaten Postrusslands“ zeigen eine Seite der Auseinandersetzung in diesem inzwischen weltweiten Konflikt, der bislang nicht im Blickfeld des öffentlichen Interesses steht. Es stellt einen weiteren Beleg mit erneuter direkter Urheberschaft in den USA und der EU dar, dass die russische Führung die Lage realistisch einschätzt.
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