BRICS – Serie – Teil 4 – BRICS wird zu BRICS 11
Wie sieht BRICS nach dem Gipfel in Durban aus? – Was wurde verkündet? – Was bringt die Zukunft?
Peter Hänseler
Einleitung
Am 24. August ging der BRICS Gipfel in Durban, Südafrika, zu Ende.
Die wichtigste Neuigkeit ist sicherlich, dass ab dem 1. Januar 2024 folgende sechs Länder zu Vollmitgliedern werden:
Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Ab heute können wir somit diese Organisation BRICS 11 nennen.
In Teil 1 unserer Serie trugen wir viele Fakten und Zahlen zu BRICS und Organisationen im Dunstkreis zusammen.
Im 2. Teil befassten wir uns vor allem mit dem heutigen internationalen Geldsystem, das vom Petrodollar beherrscht wird, dessen Geschichte und die Gründe, warum BRICS & Co. aus diesem System ausbrechen möchten.
Der 3. Teil befasste sich dann mit der Heterogenität der bisherigen und möglichen weiteren BRICS-Mitglieder und der damit verbundenen Herausforderungen, wobei wir ebenfalls zu erahnen versuchten, was möglicherweise am soeben zu Ende gegangenen Gipfel entschieden wurde.
In diesem 4. Teil sprechen wir über den Eintscheidungsprozess, der zur Aufnahme dieser sechs Länder geführt hat und die unmittelbaren Konsequenzen dieser Aufnahmen.
Danach werden wir die Zahlen von BRICS 11 präsentieren.
Sodann werden wir uns kurz über den Status der Einheitswährung BRICS äussern
Schliesslich gehen wir kurz auf die 26 Seiten lange Erklärung mit seinen 96 Punkten ein.
Wie kam es zu den Entscheiden?
Heterogenität
In Teil 3 erörterten wir, warum BRICS eine sehr heterogene Gemeinschaft ist und inwiefern dies für die Gemeinschaft eine Chance, aber auch eine Herausforderung ist.
In dieser Vereinigung liegen die Chinesen und die Russen in ihrer geopolitischen Sicht nahe beieinander und haben – aufgrund ihrer Macht – einen sehr großen Einfluss auf Südafrika und Brasilien, welche beide handelsmässig eng mit China und Russland verbunden sind.
Indien hingegen fährt einen viel offeneren Kurs gegenüber dem Westen als China und Russland und ist neben China der zweite Koloss in dieser Gemeinschaft: Indien will mit allen, d.h. sie wählen keine Seite – Globaler Süden oder Kollektiver Westen – sondern versuchen – und dies bis jetzt mit grossem Erfolg – mit allen irgendwie auszukommen.
Kurzfristig könnte man Indien als Bremsklotz von BRICS 11 sehen, aber langfristig sehe ich persönlich einen Vorteil in der Herausforderung, das flexible Indien voll in BRICS einzubinden und dessen Vorbehalte bezüglich weiterer Mitglieder und wirtschaftlicher Stossrichtung ernst zu nehmen. Wird das nicht getan, so wird BRICS Gefahr laufen, zu einem Plauderclub wie UNO, G7 oder G20 zu verkommen und somit eine Organisation zu werden, welche nie etwas Erstzunehmendes erreicht, da die betreffenden Mitglieder das Gesagte selber nicht ernst nehmen. BRICS ist bis heute viel glaubwürdiger aufgestellt als Organisationen, welche vom Kollektiven Westen beherrscht werden, und hat gute Karten, diesen Vorteil auch zu behalten.
Die Verhandlungen um die neuen Mitglieder
Präsident Putin – immer Realist – beschrieb die Verhandlungen bezüglich der Wahl der neuen Mitglieder denn auch als sehr anspruchsvoll. Er scheint sich als Führer des grössten Landes der Welt mit über hundert Völkern der Schwierigkeiten der Heterogenität sehr wohl bewusst zu sein.
Indien – wie immer vorsichtig – wollte 3 neue Mitglieder, China wollte 10. Mit Ägypten, Iran, Saudi Arabien, den VAE, Äthiopien und Argentinien fand man einen Kompromiss.
Russland unterstützte Ägypten. Der augenfälligste Pluspunkt, welcher für eine Aufnahme von Ägypten spricht, ist ein logistischer: Der Suezkanal. Dieser ist eine wichtige Route für Energie, Rohstoffe, Konsumgüter und Zulieferteile von Asien und dem Nahen Osten nach Europa.
China, das riesige Mengen von Energie importiert, um seine gigantische Wirtschaft zu betreiben, setzte auf den Persischen Golf: Es wollte Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saud-Arabien. Das ist keine Überraschung: Iran und China haben schon eine strategische Partnerschaft und Riad akzeptiert bereits den Yuan als Zahlungsmittel für sein Öl. Die Vereinigten Arabischen Emirate, welche immerhin 4,3% zur weltweiten Erdölproduktion beisteuern, entwickeln sich auch zu einem wichtigen Finanzzentrum, welches eine Brücke zwischen BRICS 11 und dem Westen herstellen könnte. Es zeigt sich also immer wieder, dass BRICS und deren Mitglieder – im Gegensatz zu G7 – auch gegenüber dem Westen eine inkludierende Haltung einnimmt. BRICS 11 will sich somit in keiner Weise gegenüber dem Westen abschotten.
Brasilien und China unterstützen die Aufnahme Argentiniens und Südafrika unterstütze Äthiopien.
Indien hegte anfänglich grosse Bedenken bezüglich der Aufnahme der drei Ölgiganten Saudi Arabien, Iran und UAE. Religiöse Gründe mögen eine Rolle gespielt haben, welche seit Jahrzehnten von den USA geschürt werden. Es gelang jedoch dem russischen Außenminister Lawrow, welcher in Indien den höchsten Respekt geniesst, die Inder zu beschwichtigen.
Die Vorsicht von Indien hängt natürlich auch damit zusammen, dass dieses Riesenreich seine Partner im Westen nicht zu sehr provozieren möchte und sicherlich auch Sanktionen fürchtet. Diese Probleme habe die beiden anderen Grossen – China und Russland – nicht mehr, da sie ja bereits sanktioniert werden.
Russland, welches bisher der Energiegigant – Erdöl und Erdgas – von BRICS war, zeigt einmal mehr, dass Multipolarität für das Riesenreich nicht nur ein Schlagwort ist. Russland hat überhaupt kein Problem damit, die grössten Konkurrenten in Sachen Öl und Gas in dieser Gemeinschaft willkommen zu heissen und setzte sich tatkräftig für deren Aufnahme ein.
Von BRICS zu BRICS 11 – Unmittelbare Konsequenzen
Neues Machtgefüge im Nahen Osten
Die Aufnahme der drei Länder aus dem persischen Golf führt zu einer starken Machtkonzentration von BRICS 11 in Sachen Energie.
Mit der Aufnahme der drei Energiegiganten kontrolliert BRICS 11 direkt 46% der weltweiten Erdölproduktion (G7-21%) und 37% der weltweiten Erdgasproduktion (G7-29%).
Diese Zahlen zeigen jedoch lediglich – oder nicht einmal – die halbe Wahrheit. BRICS 11 wird mit den neuen grossen Ölproduzenten als Mitglieder OPEC+ beherrschen.
OPEC+ kontrolliert 59% der weltweiten Ölproduktion – alle detaillierten Zahlen zu allen Organisationen finden Sie in Teil 1.
Weiter ist zu bedenken, dass die USA zwar mit einem Marktanteil von knapp 18% weltweit der grösste Ölproduzent ist, jedoch knapp 20% der weltweiten Ölproduktion konsumiert und somit nicht nur kein Öl an andere Länder des kollektiven Westens abgeben kann, sondern auf Importe angewiesen ist. Weiter kommt dazu, dass US-Öl in seiner Produktion etwa 2,5 Mal teurer ist als jenes in Saudi-Arabien.
Somit ist die G7 schon allein auf der Energieebene komplett in der Defensive. Sie sind ab heute öl- und erdgasmässig abhängig von BRICS 11. Da werden sich speziell in der EU einige kopflose und aggressive Grossmäuler die Haare raufen. Wie kriegt man Energie von einer Gemeinschaft, dessen grössten Energieproduzenten man als Kriegsverbrecher, Halunkenstaat und als Kriegsgegner bezeichnet? Zitat von Frau Baerbock: “Wir sind im Krieg gegen Russland.”
Geopolitisch ist die Aufnahme der Staaten aus dem persischen Golf eine komplette Katastrophe für die USA. Dieser Blog führte bereits mehrere Male aus, dass allein schon der Friedensschluss zwischen Saudi Arabien und Iran den USA die Möglichkeit der Taktik «divide et impera» entzog.
Mit der Angehörigkeit der drei Staaten in BRICS 11 wurde den USA die Macht über den Nahen Osten, welche bisher – neben dem Petrodollar – wohl das wichtigste Element der Weltherrschaft der USA darstellte – nota bene ohne Krieg, sondern mit Frieden – aus der Hand geschlagen.
Weiter entzieht der Friedensschluss zwischen Saudi Arabien und Syrien den USA im Nahen Osten jede Berechtigung, weiter Truppen in Syrien zu stationieren. Syrien, zurück in der Arabischen Liga, wird sich der illegal auf den Ölfeldern Syriens sitzenden Amerikaner schnell entledigen können. Die unglaubwürdige und abgedroschene Begründung der Terrorbekämpfung wird den Amerikanern nichts mehr nützen. Sie können lediglich gegen Syrien einen direkten Krieg entfachen oder aber den Schwanz einziehen und Syrien verlassen. Nach Afghanistan wird dies wohl für die Amerikaner die zweite peinliche Schlappe innert kürzester Zeit werden, was das geopolitische Ansehen der USA weiter verschlechtern wird. Mögen Sie sich an die überhebliche Rede Präsident Barak Obamas anlässlich einer Pressekonferenz mit mit dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan erinnern? – Seine Worte: «Assad needs to go.» Das war 2013 – heute könnte man mit Fug und Recht behaupten: «The Americans have to go.» Weiter verweisen wir auf unseren Artikel «Friede bricht aus – arabischer Frühling ohne Blut«, der auch auf die Arabische Liga eingeht.
Frühlingsgefühle in Südamerika
Argentinien, einst eines der reichsten Länder dieser Welt, welches seit Jahrzehnten immer wieder wegen US-Dollarschulden kollabierte, erhält mit der Aufnahme zu BRICS eine riesige Chance, aus dem Teufelskreis der Pleiten wieder herauszukommen und erneut ein Juwel zu werden.
Voraussetzung dazu ist jedoch auch, dass die argentinische Bevölkerung einen Präsidenten wählt, welcher das Land wieder auf die Beine bringt.
Das Phänomen Javier Milei steht bereit. Nicht überraschend wird er vom Westen als Rechtsextremer dargestellt. Falls er gewählt wird und es Milei gelingt, Disziplin in die Staatskassen Argentiniens zu bringen, kontrolliert BRICS mit Brasilien und Argentinien Südamerika.
Venezuela hat sich ebenfalls um eine Aufnahme in BRICS 11 beworben. Dieses Land verfügt über die grössten Ölreserven weltweit. Venezuela liegt jedoch wirtschaftlich komplett am Boden – warum wohl?
Auch Venezuela wird von den USA terrorisiert. Es sollte eigentlich undenkbar sein, ein solch grossartiges Land, dessen Menschen tatsächlich hungern, zu sanktionieren. Den Amerikanern ist die Regierung in Venezuela nicht genehm. 2019 versuchte man Juan Guaidó als Marionette der USA einzusetzen – das scheiterte kläglich. Als Grund für die Sanktionen schreibt der Congressional Research Service in seinem Bericht «Venezuela: Überblick über die U.S.-Sanktionen», die Sanktionen seien erlassen worden, um terroristische Aktivitäten, Drogen- und Menschenhandel, Korruption und Menschenrechtsverletzungen zu bekämpfen. Sehr glaubwürdig. Zwar leidet die Bevölkerung in einem unsäglichen Ausmass, aber dieser Terror wird auch in Venezuela keine Ergebnisse bringen.
Venezuela, das bereits heute sehr gute Beziehungen zu Russland und China unterhält, wird wohl 2024 BRICS 11 beitreten.
BRICS 11 in Zahlen
Nachdem unsere Leser in Teil 1 so ziemlich das gesamte Zahlenmaterial bezüglich BRICS, deren Zukunft und allen Organisationen des Globalen Südens erhalten haben, ist es uns jetzt eine Freude, Ihnen die harten Zahlen von BRICS 11 zu präsentieren. Diese Zahlen werden dem Kollektiven Westen bereits 2024 Bauchschmerzen bereiten.
Einheitswährung
In Teil 3 haben wir darauf hingewiesen, dass aufgrund der Heterogenität der Mitglieder von BRICS, speziell aufgrund der ideologiefreien Haltung der Inder, eine Knall-auf-Fall-Änderung der Welt anlässlich des nun soeben zu Ende gegangenen Gipfels nicht zu erwarten sei.
Viele gescheite Experten, unter Ihnen auch James Rickards, erwarteten die Verkündung einer Einheitswährung anlässlich dieses Gipfels, obwohl die Inder ein paar Wochen vor dem Gipfel statuierten, eine Einheitswährung stehe zur Zeit nicht zur Debatte.
Unser Blog war vorsichtiger mit seinen Prognosen – wie sich jetzt gezeigt hat – zu Recht.
Die Ausführungen von James Rickards erachte ich jedoch nach wie vor als sehr wertvoll und vor allem richtig. Ich glaube einfach, dass er mit dem Timing etwas zu optimistisch war. Eine einheitliche Währung, welche für den Zahlungsausgleich zwischen den Mitgliedern verwendet werden wird, ist meines Erachtens keineswegs vom Tisch.
Viel wichtiger als das Timing der Einführung eines solchen Settlement-Mechanismus ist jedoch der unmittelbare Effekt von BRICS 11 auf die Währungssysteme – oder wollen wir genauer sagen – den Petrodollar.
BRICS 11 und viele Staaten, welche die Mitgliedschaft in BRICS 11 anstreben, werden ab sofort ihre Handelsgeschäfte untereinander nicht mehr in US-Dollar abwickeln, soweit das möglich ist.
Genau diese Aussage machte auch der russische Aussenminister Sergei Lawrow anlässlich des Gipfels.
Vielen Menschen sind die Konsequenzen einer solchen Umgehung des US-Dollars in keiner Art und Weise bewusst. Hier verweisen wir auf unseren Teil 2 unserer BRICS-Serie, wo wir akribisch darlegen, was der Petrodollar für die amerikanische Wirtschaft und Weltherrschaft bedeutet. Auf die Gefahr hin, repetitiv oder sogar überheblich zu wirken, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass die Vorherrschaft der USA bzw. deren Untergang nicht ernsthaft diskutiert oder erörtert werden kann, falls man das System des Petrodollars nicht in seinen Grundzügen verstanden hat.
Der Prozess der Ablösung vom Korsett des Petrodollars wird weitergehen und es ist durchaus möglich, dass etwa Russland – als erstes Land seit hundert Jahren – seine Währung – den Rubel – zum Goldrubel machen könnte.
Die Schlusserklärung, Ziffer 45, enthält auf jeden Fall einen Hinweis darauf, dass die Mitglieder an diesem Thema konzentriert arbeiten und in naher Zukunft Neuigkeiten zu erwarten sind:
«Wir beauftragen unsere Finanzminister und/oder Zentralbankgouverneure, die Frage der lokalen Währungen, Zahlungsinstrumente und Plattformen zu prüfen und uns bis zum nächsten Gipfel Bericht zu erstatten.»
Die Schlusserklärung
Die in der Originalsprache 26 Seite lange Erklärung führt 94 Punkte auf. Ich bin wahrlich kein Diplomat und somit lasse ich mich im Detail nicht über den Text aus. Nur soviel: Der Text ist der grösste gemeinsame Nenner aller Mitglieder und somit sicherlich lesenswert.
Sie können die Schlusserklärung auf diesem Blog lesen: Die Original-Schlusserklärung wurde auf Englisch publiziert, der Kreml publizierte sie auf Russisch. Unverständlicherweise sah die deutsche Regierung bis jetzt davon ab, ihrer Bevölkerung die Erklärung auf Deutsch zur Verfügung zu stellen – das haben wir für Sie hier nachgeholt.
Fazit
Lassen Sie sich von der westlichen Berichterstattung zu diesem Gipfel nicht dazu verführen, zu glauben, es handle sich um ein nicht sehr wichtiges Ereignis – es ist es.
In unserer Serie versuchten wir, viele Aspekte dieser Gemeinschaft zu beleuchten und Denkanstösse zu geben. Wir werden am Ball bleiben und regelmässig über die weitere Entwicklung von BRICS und anderen Organisationen berichten.
Ich erachte diese Entwicklung für den Globalen Süden als sehr positiv, weise jedoch einmal mehr darauf hin, dass die Gefahr für den Weltfrieden mit dem Erfolg von BRICS wächst.
Je grösser der Erfolg von BRICS sein wird, desto mehr Druck wird auf dem Petrodollar lasten. Der Petrodollar ist die Grundlage der Weltmacht USA. Die USA werden jedes Mittel einsetzen, diese Macht nicht zu verlieren. Meine Angst ist, dass die USA unsere Erde in einen Weltkrieg führen wird. Ich weiss, das sind düstere Gedanken, leider sind diese jedoch lediglich eine logische Folge dessen, was sich vor unseren Augen abspielt.
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