Kriegsbericht: Avdiivka vor dem Fall – Kurzmeldung
Die letzte stark befestigte Bastion der Ukrainer in Donetsk steht kurz vor dem Fall – Bachmut wiederholt sich – ukrainische Soldaten werden aus politischem Kalkül verheizt.
Peter Hänseler
Schreibweise dieser Stadt
Zu deutsch wird diese Stadt «Awdijiwka» geschrieben, sieht grässlich aus und gibt die Betonung falsch wieder. Somit verwenden wir die englische Schreibweise «Avdiivka», auch nicht gut, aber besser. Ausgesprochen wird der Name [avdjevka] – Betonung auf dem «je» russisch: Авдеевка.
Hintergrund
Avdiivka ist eine jener Städte, welche seit 2014 mit Hilfe der Nato zu schwer befestigten Bastionen ausgebaut wurden und somit schwer einzunehmen sind.
Aus Avdiivka beschossen die Ukrainer die Zivilbevölkerung seit 2014 – allein bis zum Beginn der militärischen Spezialoperation kamen durch Artilleriebeschuss aus dieser Stadt über 17’000 Zivilisten in Donetsk um.
Unsere Quellen
Unser Blog ist kein Militärblog. Dennoch verfolge ich zweimal täglich einen YouTube-Kanal mit dem Namen Military Summary, um mir eine Übersicht über die militärische Situation zu verschaffen.
In unserem Artikel «Verlässliche Quellen für die Kriegsberichterstattung» erläuterten wir, auf welche Weise man zu den verlässlichsten Informationen kommt und erwähnten auch diesen Kanal.
Military Summary ist ein kartenbasierter Kanal, welcher Änderungen auf der Gefechtskarte erst dann vornimmt, wenn er geo-lokalisierte Bestätigungen hat, die eine Veränderung bestätigen. Das professionelle Vorgehen des jungen YouTubers aus Weissrussland bescherte ihm bis jetzt 213’000 Abonnenten und über 104 Millionen Besuche (views).
Ich schaue diesen Kanal seit seinem Beginn und er musste noch nie Fehler korrigieren – er ist unsere Empfehlung, wenn man Fakten statt Propaganda konsumieren möchte. Etwas zeitraubend, aber lohnenswert.
Avdiivka ist eingeschlossen
Zwar hat sich der Ring um Avdiivka noch nicht physisch geschlossen, ein Entkommen der ukrainischen Truppen ist jedoch aufgrund der Reichweite der russischen Waffensysteme auf alle Versorgungswege zu und von Avdiivka ausgeschlossen. In Avdiivka befinden sich zurzeit noch etwa 7’000 ukrainische Soldaten.
Aus politischem Kalkül kein Rückzug
Aus militärisch-taktischer Sicht ist die Stadt verloren. Somit ist es einigermassen erstaunlich, dass die Ukrainer sich aus dieser Einschliessung nicht schon vor Wochen zurückgezogen haben.
Vor einigen Tagen wurde General Zaluzhny durch General Syrskyi ersetzt und man fragte sich, warum?
Dafür gibt es meines Erachtens drei Hauptgründe:
Erstens, Zaluzhny ist im Gegensatz zu Selenski immer noch beliebt bei der ukrainischen Bevölkerung und somit wurde der General dem Präsidenten politisch gefährlich.
Zweitens, Zaluzhny wollte bei den Vorbereitungen zur Grossen Gegenoffensive der Ukraine im Frühsommer eine konzentrierte Offensive in Richtung Melitopol führen. Selenski entschied sich – dem grossartigen Rat der NATO folgend – für zahllose Offensiven über die gesamte Frontlinie verteilt; eine Frontline, welche sich über 1’000 km erstreckt. Das Ergebnis war eine katastrophale Niederlage, die dazu führte, dass die Gegenoffensive nie auch nur die ersten Verteidigungslinien der Russen erreichte. Das ganze Blutbad spielte sich grossenteils in den Sicherheitszonen vor den Verteidigungslinien der Russen ab. Wir haben darüber in unserem Beitrag «Ukraine – ein Staat in der Agonie» bereits berichtet.
Drittens, man hörte, dass Zaluzhny Avdiivka räumen wollte, um eine Wiederholung des Blutbades von Bachmut vom letzten Frühling zu vermeiden.
Selenski setzte sich durch, General Syrskyi ist der neue Mann. Selenski möchte offensichtlich verhindern, dass Avdiivka vor der russischen Präsidialwahl vom 15.-17. März fällt. Einmal mehr ein zynisches Vorgehen eines Präsidenten, welcher nicht im Interesse seines Landes handelt. Ob Syrskyi die irrsinnige Strategie tatsächlich befolgen wird, ist ungewiss.
Ob Avdiivka bis am 15. März fällt ist somit nicht sicher. Sicher ist jedoch, dass die ukrainische Führung – wie bereits in Bachmut – bis zum Fall tausende ihrer eigenen Soldaten dem politischen Kalkül opfert.
Was geschieht danach?
Wie bereits erwähnt, ist Avdiivka möglicherweise die letzte stark befestigte Bastion der Ukrainer. Dies erklärt auch, warum die Russen so lange brauchen, um diese Stadt einzunehmen. Nach der Einnahme dieser Stadt wird Donetsk für die Zivilbevölkerung nach über acht Jahren Artilleriebeschuss viel sicherer sein, da den Ukrainern die westlichen Langstrecken-Raketen, welche sie auch aus grösseren Entfernungen gegen die Zivilbevölkerung Donetsks einsetzen können, langsam ausgehen.
Ich gehe davon aus, dass der weitere Vormarsch der Russen schneller von statten gegen wird, da die weiteren – im Westen liegenden Städte – weniger stark befestigt sind.
Die Hoffnung stirbt zuletzt und somit erlaube ich mir einmal mehr auszusprechen, dass Verhandlungen aufgenommen werden müssen, um tausende von Leben junger Ukrainer und Russen zu erhalten.
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