Ukraine-Krieg: Was will der Westen

Was bringen die Sanktionen? Fakt ist, der Krieg dauert fort. Und die russischen Streitkräfte sind längst nicht am Ende, wie es die Medien herbeisehnen. Der Westen hat sich verrannt.

Peter Hänseler

Dieser Artikel erschien am 26. Mai 2022 in der Weltwoche
OLEG PETRASYUK / KEYSTONE

Ende Februar war es das erklärte Ziel der Russen, nach einer kurzen Operation mit der Ukraine ein Abkommen zu schliessen, unter dem die Krim als russisch anerkannt, Lugansk und Donezk als unabhängig erklärt und die Ukraine sich als neutral erklären würde. 

Es schien, dass die Verhandlungen in Istanbul vorankämen. 

Dann wurde Präsident Selenskyj zuerst von Boris Johnson aufgefordert, kein Abkommen mit den Russen zu schliessen, sondern die Sache militärisch auszufechten. Präsident Biden stimmte dem zu, und seither werden an die Ukraine Waffen versprochen und geliefert. 

Allein die USA sprachen der Ukraine bisher insgesamt 43 Milliarden Dollar zu, was etwa dem jährlichen Militärbudget Russlands entspricht. 

Welche Ziele verfolgt der Westen? 

Boris Johnson sah sich schon immer als den kommenden Winston Churchill, und dazu braucht er ja zuerst einmal einen Krieg. Neben seinem persönlichen Grössenwahn kann er zusätzlich auch seine riesigen Probleme im eigenen Land verwedeln, selbstverständlich auf dem Buckel seines eigenen Volkes. 

Die Amerikaner verstecken ihre Absichten nicht einmal mehr: Erklärtes Ziel ist es, Russland durch einen langen Krieg nachhaltig zu schwächen – ökonomisch, militärisch und reputationsmässig. 

Wieder einmal verkünden die USA, dass ein gewähltes Staatsoberhaupt ersetzt werde müsse: «Putin must go!» 

Die Europäer ziehen mit und merken überhaupt nicht, dass sie von den USA für ihre imperialen Ziele missbraucht werden. 

Die Schweiz als «neutrales» Land fand einen sehr prominenten Platz auf der Rangliste der unfreundlichen Staaten nach Anzahl verhängter Sanktionen, welche die russische Regierung am 19. Mai publizierte: Nach den USA und Kanada findet sich die Schweiz auf Platz drei – notabene noch vor der EU. 

Es geht schon lange nicht mehr darum, kremlnahe Oligarchen zu sanktionieren: Alles, was russisch ist oder tönt, wird verfolgt – auch in der Schweiz. 

Man verfolgt eine Staatsangehörigkeit. So etwas gab es letztmals in den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts – schämen dafür tun sich wenige. Keiner möchte von der aufgehetzten Mehrheit als Freund von Russland blossgestellt werden. Die leiseste Infragestellung wird als Verrat qualifiziert. 

Nützen tun diese Sanktionen wenig: Die Exporte Russlands sind höher als 2021, der Rubel ist heute gegenüber dem Euro stärker als vor fünf Jahren, die russische Wirtschaft, welche bereits seit 2014 auf Autarkie getrimmt wurde, passt sich an. Die russische Wirtschaft wächst. 

Die wirtschaftlichen Sanktionen haben also nicht Russland geschwächt, sondern werden den überschuldeten Westen wohl vollends in die Krise führen. 

Aber wenigstens verlieren die Russen auf dem Schlachtfeld, heisst es in den Medien. Wirklich? Bei näherer Betrachtung scheint dies ebenfalls nicht der Fall zu sein. Die Russen haben ihre militärischen Ziele seit dem Scheitern der Verhandlungen in Istanbul ganz offensichtlich geändert. 

Jedoch: Im Krieg kommt alles anders, und vieles geht schief auf beiden Seiten – immer. Ein Plan ist so lange gut, bis es losgeht. Logistik, Nachschub und Koordination sind dermassen schwierig, dass sich das die meisten nicht vorstellen können. 

Die westlichen Medien schreiben ihren Sieg geradezu herbei: Der Westen verkauft den Bewegungskrieg der Russen jedes Mal als Sieg der Ukrainer, falls sich die russische Armee von einem Punkt zurückzieht. 

Es war nicht die Absicht der Russen, Kiew zu erobern, sondern durch ihre Präsenz ukrainische Truppen um Kiew zu binden. Das Gleiche trifft auf Charkiw zu. Städte, welche die Russen tatsächlich erobern wollen, kriegen sie. 

Mariupol ist seit einigen Tagen vollständig unter russischer Kontrolle. Zwischen 1500 und 2000 ukrainische Truppen ergaben sich und wurden zu Kriegsgefangenen. Diese wurden nicht evakuiert, wie etwa von der New York Times berichtet. 

Schaut man auf die Karte, so haben die Russen riesige Gebiete im Osten und Süden der Ukraine bereits unter Kontrolle. Ob die Russen aus der bereits besetzten Region Cherson Odessa nehmen werden, wissen nur die Russen. 

Sie gehen langsam vor, nicht etwa aus Schwäche, sondern, um Soldatenleben und Material zu schonen und den Nachschub zu sichern. Blitzkriege, welche die deutsche Wehrmacht führte, waren immer mit grossen Verlusten und riesiger Zerstörung verbunden. Bereits in Polen 1939 und im Westen 1940 verloren die Deutschen sehr viele Soldaten und Material. 

Diese Strategie führte dann bereits im Winter 1941 zur ersten Katastrophe für die Deutschen vor Moskau. 

Dazu kommt, dass die Russen keinen Panzerkrieg führen, sondern einen Artilleriekrieg. Die Russen müssen sich durch Befestigungsanlagen kämpfen, welche die Ukrainer in den letzten acht Jahren aufgebaut haben, und das tun sie erfolgreich. 

Dass die Darstellung der westlichen Medien bezüglich der Situation vor Ort nicht stimmt, sondern reine Propaganda ist, bestätigt selbst das Pentagon: Anlässlich einer Pressekonferenz vom 20. Mai behauptete John Kirby zwar, dass die russischen Streitkräfte langsamer vorankämen als geplant. Aber er führt aus, dass die russischen Streitkräfte vorankommen; die Front im umkämpften Gebiet ist übrigens über 300 Kilometer lang. 

Alles kann sich immer ändern, aber der Westen hat sich bis jetzt verrannt. 

Ukraine-Krieg: Was will der Westen

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