BRICS wird die Welt verändern – langsam
BRICS, jene Organisation, welche im Westen kaum wahrgenommen wird, hat ihre Mitgliederzahl Ende August mehr als verdoppelt – da tut sich was.
Peter Hänseler
Einleitung
Es scheint eher die Regel als die Ausnahme zu sein, dass die wichtigsten Veränderungen in der Geschichte von Finanzsystemen entweder völlig unbemerkt bleiben oder der Grossteil der Öffentlichkeit – einschliesslich Finanzexperten und Investoren – die Bedeutung solcher Umwälzungen nicht erkennt.
Für diese These gibt es mehrere Beispiele: Am 23. Dezember 1913 etwa verabschiedete der amerikanische Senat den Federal Reserve Act und Präsident Woodrow Wilson unterzeichnete ihn. Die Federal Reserve Bank ist so «federal», sprich staatlich wie Federal Express. Sie ist eine Privatbank, deren Aktionärsregister der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist und regiert seit 1913 die Welt. Das Datum des 23. Dezembers wurde weise gewählt, denn die Öffentlichkeit und die meisten Politiker waren zu sehr mit den Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt, um zu erkennen, dass dieses Ereignis die Ordnung Amerikas und später der Welt für immer verändern würde.
Als Richard Nixon am 15. August 1971 das Goldfenster «vorübergehend» schloss, wurden die Fernsehsendungen am Sonntagnachmittag unterbrochen – unter anderem die Fernsehserie «Bonanza» – um das amerikanische Volk über seine Entscheidung zu informieren. Obwohl dieses Ereignis als «Nixon-Schock» bezeichnet wurde, schienen die Menschen die Bedeutung dieser Massnahme nicht zu begreifen.
Schliesslich gelang es dem genialen Henry Kissinger 1974, einen Pakt mit König Faisal von Saudi-Arabien zu schliessen, der den USA unbegrenzte finanzielle und damit geopolitische Macht verlieh, indem er den Petrodollar schuf und die Gefahr, die von einem durch nichts gedeckten US-Dollar ausging, dadurch bannte, dass er Saudi-Arabien mit der militärischen Macht der USA im Gegenzug für nahezu unbegrenzte Investitionen in US-Anleihen schützte.
In diesem Jahr, am 22. August gab BRICS, eine Organisation, die in den westlichen Medien kaum Beachtung findet, bekannt, dass neben den fünf Ländern, deren Initialen ihr den Namen gaben (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), sechs neue Mitglieder (Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate) bis zum 1. Januar 2024 der BRICS beitreten werden; damit wird BRICS zu BRICS 11.
In diesem Artikel wollen wir zunächst einen kurzen Blick auf einige Zahlen und Fakten zu BRICS 11 werfen. Dann werden wir die Geschichte des aktuellen Finanzsystems und seine Entstehung im Detail untersuchen, um seine Bedeutung für die Macht der USA in der Zeit vom Zweiten Weltkrieg bis heute zu verstehen. Dann werden wir uns ansehen, wie die USA die diesem System inhärenten Privilegien missbraucht haben, was einer der Gründe für den derzeitigen Aufstieg der BRICS ist. Schliesslich werden wir versuchen, die Frage zu beantworten, ob die Ereignisse im August 2023 das Potenzial haben, die Welt zu verändern, oder ob es sich um ein weiteres fruchtloses Unterfangen von Schwellenländern handelt, sich gegen den kollektiven Westen zu behaupten.
Entstehung von BRICS
Der Begriff BRIC wurde vom Goldman Sachs Ökonomen Jim O’Neill in einem Papier aus dem Jahr 2001 geprägt, in dem er das zukünftige Wirtschaftspotenzial von Brasilien, Russland, Indien und China erläuterte.
Im Jahr 2006 trafen sich die BRIC-Länder zum ersten Mal am Rande der UN-Generalversammlung in New York. Ein erstes formelles Treffen fand 2009 in Jekaterinburg statt. Das Ziel dieser zunächst losen Gemeinschaft war es, die Zusammenarbeit zwischen ihren Mitgliedern zu verbessern.
2010 trat Südafrika bei, so dass diese Organisation seitdem BRICS genannt wird. Im August dieses Jahres hat sich die Zahl ihrer Mitglieder mehr als verdoppelt und wir nennen sie nun BRICS 11.
Zahlen
In Bezug auf die wichtigsten Wirtschaftsindikatoren wie Bevölkerung, BIP (KKP), Erdöl-, Erdgas- und Goldproduktion zeigen die nackten Zahlen, dass BRICS 11 in Bezug auf jeden dieser Indikatoren bedeutend stärker ist als die G7 (Tabelle 1).
Diese Zahlen allein sollten ein Weckruf für all diejenigen Menschen, Experten, Politiker und Investoren sein, die immer noch zu glauben scheinen, dass es ausreicht, die Finanzwelt aus einer rein westlichen Perspektive zu beurteilen.
Es gibt einige Punkte, auf die ich die Leser aufmerksam machen möchte, wie diese nackten Zahlen gelesen und interpretiert werden könnten und sollten. Ich bin mir jedoch bewusst, dass ich Ihnen nur einen kleinen Einblick in die Realität geben kann und dass diese Betrachtung von sehr begrenzter Natur ist.
Was das BIP angeht, verwende ich kaufkraftbereinigte Zahlen. Warum? – Wenn Sie den US-Dollar als Massstab für das BIP verwenden, stellen Sie sich folgende Frage: Wenn ich die finanzielle Schlagkraft messen will, spielt es dann eine Rolle, ob z.B. ein Big Mac in US-Dollar an einem Ort doppelt so viel kostet wie an einem anderen? – Meiner Meinung nach schon. Der sogenannte Big Mac Index sollte Grund genug sein, beim Vergleich von BIP-Zahlen die kaufkraftbereinigten Zahlen zu verwenden. Der Grund, warum westliche Medien die nicht bereinigten Zahlen verwenden, ist reines Marketing, um die Abwertung des US-Dollars zu verschleiern und ihn stärker erscheinen zu lassen, als er ist – somit, reine Propaganda.
Bei der Bewertung der Ölförderzahlen sollten wir die folgenden Fakten berücksichtigen: Erstens: Obwohl die USA mit einem Anteil von rund 18% an der Weltproduktion immer noch der grösste Ölproduzent der Welt sind, verbrauen sie mit einem Anteil von über 20% am Weltverbrauch auch am meisten Öl. Daher sind die USA derzeit nicht einmal in der Lage, ihren eigenen Verbrauch zu decken. Zweitens haben die grossen ölproduzierenden Mitglieder der BRICS 11 einen grossen Einfluss – oder besser gesagt – die Kontrolle über die OPEC. Daher werden die BRICS 11 auch die OPEC beherrschen und somit den Preis und die Verteilung eines grossen Teils des Öls kontrollieren, das nicht umsonst den Spitznamen «Schwarzes Gold» trägt. Drittens sind die Produktionskosten für US-Öl etwa 2,5-mal so hoch wie die Produktionskosten für saudisches Öl.
In Bezug auf Erdgas ist anzumerken, dass mit dem Beitritt des Irans zu BRICS die beiden grössten Erdgasproduzenten der Welt gemeinsam Mitglieder von BRICS werden: Russland und der Iran. Der grösste Nicht-BRICS-Gasproduzent ist das (noch) mit den USA verbündete Katar. Die BRICS sind also auch in Bezug auf Erdgas ein echtes Machtzentrum.
In Bezug auf Gold sollte kurz erwähnt werden, dass China und Russland die Nummer 1 bzw. 2 bei der weltweiten Goldproduktion sind. Ich erwähne Gold hier, weil die Chancen gutstehen, dass Gold irgendwann wieder eine wichtige Rolle in zukünftigen Geldsystemen spielen wird, weil es die einzige Möglichkeit ist, die Zentralbanker zu disziplinieren, die seit 1914 im Grunde nur eines getan haben: Geld drucken, den US-Dollar entwerten und zynisch behaupten, die Währung zu schützen. Es gibt viele Menschen im Westen, die tatsächlich behaupten, Gold sei ein unnützes Urgestein (englisch: «pet rock»). Diese Leute verstehen die Geschichte der letzten Viertausend Jahre nicht, in denen Gold immer die Hauptrolle spielte. Allein die Tatsache, dass Nixon den Goldstandard abschaffte, um einen Bankrott zu vermeiden, ist kein gutes Argument gegen Gold, sondern ist eines zu dessen Gunsten.
Bretton Woods
Um die Bedeutung der rasanten Entwicklungen rund um die BRICS und die Hintergründe zu verstehen, sollten wir uns das derzeitige System des Finanzkorsetts ansehen, das die USA dem Rest der Welt aufgezwungen haben. Wie haben die USA eine solche Dominanz erreicht, wie hat sich der Hegemon seitdem verhalten und wie wahrscheinlich ist ein Systemwechsel?
Im Jahr 1944 erreichten die Amerikaner den Zenith ihrer Macht. Sie dominierten die Kriegsanstrengungen zusammen mit den Russen, besassen 22.000 Tonnen Gold und die amerikanische Industrie produzierte 70 % der weltweit hergestellten Güter. So sieht vollständige Dominanz aus: Militärische Dominanz, industrielle Dominanz und Gold – «wer das Gold hat, macht die Regeln».
Darüber hinaus haben die Amerikaner, die wie immer die unbestrittenen Meister des Marketings waren, den Europäern verkauft, dass es die USA waren, die Europa vom bösen Herrn Hitler befreit hätten. Das war eine diplomatische Meisterleistung, denn kühle Fakten und Zahlen zeigten eindeutig, dass die Russen den grössten Anteil an der Befreiung Europas von den Nazis hatten. Die Russen dezimierten die deutsche Wehrmacht im Osten und töteten dabei etwa fünfmal mehr deutsche Soldaten als alle westlichen Alliierten zusammen an der Westfront. Genau diese Fähigkeit des Marketings und der List der Amerikaner kommt ihnen bis zum heutigen Tag zugute.
Gegen eine solch überwältigende Macht und Marketing, die auf den drei Säulen Militärmacht, Industrie und Gold beruhte, hatte der gesamte Rest der Welt – ob Freund oder Feind – keine Chance, einen nennenswerten Einfluss auf die Absichten der USA zu nehmen.
Das Bretton-Woods-System war also eine Folge der absoluten Macht der USA und nicht – wie in den Geschichtsbüchern dargestellt – ein Mechanismus, der von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs in einer Atmosphäre freundschaftlicher Partnerschaft ausgehandelt wurde.
Bretton Woods besiegelte auch den Untergang des Britischen Weltreichs, denn es verlieh den Amerikanern absolute Macht, indem es die Währungen von 44 Mitgliedsstaaten an den US-Dollar koppelte, der wiederum als einzige Währung der Welt durch Gold gedeckt war.
Das britische Empire, über dem die Sonne nach dem 2. Weltkrieg unterging, schlug ein System vor, das die Einführung einer internationalen Verrechnungswährung namens Bancor vorsah. Diese Idee von John Maynard Keynes sah vor, den Bancor als internationale Rechnungseinheit zu verwenden, an die die teilnehmenden Währungen gekoppelt werden sollten. Der Wert des Bancor selbst sollte durch Gold gedeckt werden. Der goldgedeckte Bancor hätte als Rechnungseinheit gedient. Ein faires System, das den Ländern mit guten Leistungen eine Chance eröffnet und zu einer multipolaren Welt geführt hätte. Eine multipolare Welt war jedoch das Letzte, was die Amerikaner errichten wollten – sie wollten der Hegemon werden und erreichten ihr Ziel auch; die Briten hatten mit ihrer – meiner Meinung nach – grossartigen Idee nicht den Hauch einer Chance.
Das Bretton-Woods-System gab allen Mitgliedsstaaten das vertragliche Recht, den von ihnen gehaltenen US-Dollar zu einem festen Kurs von USD 35 pro Unze Gold in physisches Gold, das von den Amerikanern gehalten wurde, einzutauschen.
Das Bretton-Woods-System hätte die USA somit dazu zwingen sollen, sich fiskalisch diszipliniert zu verhalten, mit dem Ziel, das Vertrauen der Mitglieder in den US-Dollar zu bewahren und diese davon zu überzeugen, dass der US-Dollar so gut sei wie Gold.
Die Amerikaner als Weltmacht und Hegemon kümmerten sich jedoch keinen Deut um die Interessen ihrer Partner und druckten ab den 1960er Jahren immer mehr US-Dollars, um den Vietnamkrieg und das von Präsident Johnson initiierte «Great Society Project» zu finanzieren. Sowohl die Kosten für den Vietnamkrieg als auch für das Great Society Project, das bis dahin grösste Sozialprogramm der USA, dessen Hauptziel die vollständige Beseitigung von Armut und Rassenungerechtigkeit war, liefen jedoch völlig aus dem Ruder.
Die Franzosen waren die ersten, die erkannten, dass der US-Dollar aufgrund des amerikanischen Gelddruckens an Wert verlor und begannen, von ihrem vertraglichen Recht Gebrauch zu machen, ihre US-Dollar in physisches Gold umzutauschen. Andere folgten diesem Beispiel. Der riesige Goldschatz der Amerikaner schmolz dahin wie Butter in der Sonne. Während die USA bei Kriegsende mehr als 22.000 Tonnen Gold besassen, waren es 1971 nur noch gut 8.000 Tonnen.
Am 15. August 1971 unterbrachen alle grossen Fernsehsender in den USA ihr Sonntagnachmittagsprogramm und Präsident Nixon wandte sich an die Nation. Er behauptete, dass Spekulanten einen totalen Krieg gegen den US-Dollar führen würden und dass er deshalb angeordnet habe, den US-Dollar gegen diese Spekulanten zu verteidigen. Er teilte dem amerikanischen Volk mit, dass er das Finanzministerium angewiesen habe, die Konvertierbarkeit des US-Dollars in Gold «vorübergehend» auszusetzen.
Das klang alles sehr patriotisch, war aber eine komplette Lüge. Die Spekulanten, die Nixon anprangerte, waren in Wirklichkeit Mitgliedsstaaten des Bretton-Woods-Systems, die erkannt, dass die Amerikaner sie über den Tisch gezogen hatten und lediglich ihr vertragliches Recht ausübten, den schwächer werdenden US-Dollar gegen Gold zu tauschen, wie es in den Bretton-Woods-Vereinbarungen festgelegt war. Nixon beging damit nichts weniger als Vertragsbruch. Die Mitglieder von Bretton Woods wurden hintergangen und blieben auf ihren Papierdollars sitzen, da sie ihr vertraglich vereinbartes Gold nicht in Anspruch nehmen konnten.
Der Petrodollar – ein exorbitantes Privileg
Die betrogenen Mitglieder von Bretton Woods beschlossen, den Amerikanern keine Kriegserklärung zu überreichen, sondern schwiegen wie Schafe und machten die Faust im Sack. Wahrscheinlich glaubten sie, dass die Amerikaner sich mit dem Vertragsbruch ihr eigenes Grab geschaufelt hätten.
Allerdings hatten sie nicht mit dem brillanten Henry Kissinger gerechnet. Der Mann wurde von Richard Nixon auf die «Mission Impossible» geschickt, um den Dollar zu retten. Kissinger überzeugte den saudischen König Faisal, sein Öl ausschliesslich in US-Dollar zu verkaufen und den Erlös in amerikanische Staatsanleihen zu investieren. Im Gegenzug versprach der schlaue Henry König Faisal militärischen Schutz. Andere Länder und Rohstoffe folgten. Wie Houdini hat Kissinger die USA aus einer misslichen Lage befreit, indem er das Unmögliche möglich machte. «Mission erfüllt»: Der Petrodollar war geboren.
Wenn nun fast die ganze Welt eine einzige Währung – den US-Dollar – für fast alle Handelsaktivitäten verwendet, sind alle Länder gezwungen, diese Währung in Reserve zu halten, um ihre Rechnungen zu bezahlen. Diese Länder halten die Reserven nicht in bar, sondern investieren sie in amerikanische Staatsanleihen, um eine Rendite auf ihre Reserven zu erzielen. Auf diese Weise haben die Amerikaner es geschafft, den grössten Obligationenmarkt der Welt zu schaffen. Es sei darauf hingewiesen, dass der US-Dollar ein Produkt wie jedes andere ist, dessen Preis dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterliegt. Der US-Dollar wird nicht gekauft, weil er an sich eine gute Investition ist, und die meisten Käufer kaufen auch keine amerikanischen Produkte damit. Nein, US-Dollars werden benötigt, um fast jedes Produkt auf der ganzen Welt zu kaufen. Dadurch wird der Preis des US-Dollars ungerechtfertigterweise gestärkt. Warum ungerechtfertigterweise? – Andere Länder müssen etwas produzieren, das es wert ist, um auf dem Weltmarkt verkauft zu werden, damit ihre Währungen wertvoll bleiben – die USA müssen das nicht.
Wenn nun die ganze Welt US-Dollars halten muss und diese in amerikanischen Staatsanleihen hält, finanziert sich die amerikanische Regierung sehr billig, weil der Preis amerikanischer Anleihen nicht von der Stärke der amerikanischen Wirtschaft abhängt, sondern auf dem Kaufzwang durch das Petrodollar-System beruht – genial.
Im Klartext: Die USA konnten sich also über 50 Jahre lang alles leisten, weil die Rechnungen von anderen bezahlt wurden. Stellen Sie sich einen Typen vor, der mit einer Kreditkarte, die kein Limit hat, einkaufen geht. Er hat eine grosse Klappe, kauft alles, was er will, und bezahlt die Kreditkartenrechnung nie, sondern schuldet das Geld jenen, welche ihm die Waren verkauft haben; letztere werden nie bezahlt, sondern erhalten lediglich einen Schuldschein.
Nur dank dieses – für die Vereinigten Staaten – genialen Systems waren die Amerikaner in der Lage, ihre Defizite auf ein Niveau zu schrauben, das man nur als schwindelerregend bezeichnen kann: Als Roland Reagan sein Amt antrat, lag die Verschuldung der USA bei unter 1 Billion, jetzt liegt sie bei über 33 Billionen. Jede andere Nation wäre zusammengebrochen, denn niemand würde es wagen, Geld in ein solches schwarzes Loch zu stecken – aber die ganze Welt muss aufgrund des Petrodollar-Systems weiterhin US-Dollars kaufen. Jetzt wissen wir also, wie die USA über 50 Jahre lang einen Lebensstil auf Kosten anderer pflegen konnten, der in keiner Weise mit der Leistung ihrer Wirtschaft korreliert. Dieser grossartige Lebensstil basiert nur darauf, dass der Rest der Welt gezwungen ist, in US-Dollars zu investieren. Der frühere französische Präsident Giscard d’Estaing nannte diesen Vorteil ein «exorbitantes Privileg» – zu Recht.
Der Petrodollar, ein geopolitisches Machtinstrument, das von den USA missbraucht wird.
Wenn es darum ging, ihre Privilegien aufrechtzuerhalten, waren die USA nicht zimperlich. Falls es jemand wagte, aus dem Petrodollar-Regime auszubrechen, reagierten die USA mit Mord und Totschlag. Aus der jüngeren Geschichte seien hier zwei Beispiele genannt. Wir alle erinnern uns an den zweiten Irak-Krieg, als behauptet wurde, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge und die USA dadurch in Gefahr seien. Trotz eines eindeutigen Berichts der UNO, dass es keine Massenvernichtungswaffen oder auch nur einen Hinweis auf deren Existenz gebe, griffen die Amerikaner den Irak an, um die Welt vom bösen Saddam Hussein zu befreien und den Irakern Frieden und Freiheit zu bringen. Eine grosse Lüge. Massenvernichtungswaffen waren im Irak nicht zu finden; eine halbe Million Zivilisten wurden getötet; deren Angehörige waren sicherlich begeistert über diese Art von demokratischem Geschenk, das die USA ihnen aufzwangen. Der Grund für den Irakkrieg war ein anderer: Der Petrodollar. Saddam Hussein – auf seine menschlichen Qualitäten brauchen wir hier nicht näher einzugehen – wollte sein Öl nicht nur in US-Dollar, sondern auch in Euro verkaufen. Das war sein Todesurteil. Jeder, der etwas anderes behauptet, ist entweder schlecht informiert, naiv oder lügt. Die Fakten liegen auf dem Tisch.
Präsident Gaddafi hat Libyen jahrzehntelang mit starker Hand geführt. Er machte Libyen zum reichsten Land Afrikas mit einer hervorragenden Infrastruktur. Ob Oberst Gaddafi ein Gutmensch war oder nicht, ist ebenfalls nicht Thema dieser Diskussion. Gaddafi hatte ebenfalls einen Plan: Er wollte den Gold-Dinar schaffen, um Afrika von den Fesseln des Petrodollars zu befreien. Auch das kam bei den Amerikanern nicht gut an. Das Ergebnis war ein toter Gaddafi und ein völlig zerstörtes Land.
Diese beiden Beispiele zeigen uns die geopolitische Macht, welche die Vereinigten Staaten aus dem Petrodollar schöpfen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass nur die US-Notenbank US-Dollars tatsächlich halten kann. Jede Bank auf der Welt, die US-Dollar-Konten anbietet, hat letztlich nur einen Buchungseintrag für einen US-Dollar-Betrag und einen vertraglichen Anspruch gegenüber der US-Zentralbank. Das erklärt auch, dass jede Zahlung in US-Dollar über die USA läuft. So können die Amerikaner im Alleingang jede Partei – sei es ein Land, eine Firma oder eine Einzelperson – vom US-Dollar abschneiden oder die US-Dollar-Bestände einer Partei einfrieren oder beschlagnahmen.
Die Vereinigten Staaten setzen dieses Instrument seit dem Zweiten Weltkrieg systematisch gegen Länder ein, die sie für würdig erachten, bestraft oder wirtschaftlich zerstört zu werden, z.B. sanktionieren die USA Kuba seit über 60 Jahren oder den Iran seit über 40 Jahren.
Diese Gewaltausübung wurde von den USA mit den fadenscheinigsten Argumenten wie Kommunismus, Terrorismus, Kriegsverbrechen usw. gerechtfertigt. Ob die Anschuldigungen wahr waren oder nicht, war komplett irrelevant, denn der Richter sitzt in den USA und die Rechtsgrundlage ist Macht. Je nachdem, in welchem Jahrzehnt man lebt, wird man als Kommunist, Terrorist oder Drogenhändler abgestempelt, wenn man die Dreistigkeit besitzt, dem Hegemon zu widersprechen oder ihm sonst wie ins Gehege kommt. Und die Schosshunde, wie zum Beispiel die europäischen «Regierenden» , sind mit dem Imperium einverstanden und dienen ihm als willigen Handlanger.
Wenn die Amerikaner solche Sanktionen verhängen, drohen sie regelmässig allen Parteien, die mit der sanktionierten Partei Geschäfte machen, ebenfalls mit Sanktionen. Diese so genannten sekundären Sanktionen funktionieren, da die meisten internationalen Geschäfte in US-Dollar abgewickelt werden und die betreffenden Unternehmen – Banken, Rohstoffkäufer, Industriezulieferer – gar keine andere Wahl haben, als die Sanktionen zu vollziehen.
Immer mehr Nationen auf der Welt sind der Meinung, dass die USA sich gegenüber dem Rest der Welt nicht fair verhalten und ihr exorbitantes Privileg, das sie mit dem Petrodollar besitzen, komplett missbrauchen.
Der Auslöser für den Angriff auf den Petrodollar
Damit beenden wir unsere Reise in die Welt des Petrodollars und kommen zu den Gründen, warum sich BRICS vom US-Dollar verabschieden wollen, da die USA zu weit gegangen sind. Nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine verhängte der Westen unter der Führung der USA nicht nur eine in der Geschichte einmalige Flut von Sanktionen gegen Russland, sondern fror auch die Devisenreserven der russischen Zentralbank ein. Kurz darauf begannen die Diskussionen darüber, was der Westen mit den Geldern zu tun gedenkt. Nach dem Einfrieren wird nun über den Raub diskutiert.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die USA mit dem Einfrieren der Reserven der russischen Zentralbank eine Reaktion ausgelöst haben, die sie nicht erwartet hatten. Grosse Nationen wie Indien und China waren plötzlich besorgt, dass das Einfrieren der russischen Zentralbankguthaben einen Präzedenzfall schaffte und auch sie treffen könnte. Dies vor dem Hintergrund der mehr als angespannten geopolitischen Lage von heute, in der jeder, der sich dafür interessiert, leicht feststellen kann, dass die Strategie der Schwächung Russlands nur eine Vorstufe zum Kampf der USA gegen China ist. Das ist auch der Grund dafür, dass BRICS den Prozess zu beschleunigen scheint. Neben den derzeitigen 11 Mitgliedern der BRICS haben sich rund 40 weitere Länder um die Aufnahme beworben.
Konsequenzen
Wir haben nun gesehen, dass die Macht der USA und das Schicksal ihres wirtschaftlichen Wohlergehens sehr stark vom Petrodollar abhängt und dass sich die amerikanische Führung dieser Tatsache sehr wohl bewusst ist und jeden vernichtet, der es wagt, im internationalen Handel nicht den US-Dollar zu verwenden.
Meines Erachtens schätzt die US-Regierung jedoch ihren eigenen Einfluss unzureichend ein, wenn sie zum heutigen Zeitpunkt andere Nationen in Angst und Schrecken versetzen will. Das Petrodollar-System funktioniert nur, solange die USA in der Lage sind, die Welt mit blossen Drohungen zu kontrollieren, die ab und an auch kinetisch umgesetzt werden, wie im Falle des Irak und Libyens, um den Rest der Welt den Tarif bekanntzugeben. Der peinliche Rückzug aus Afghanistan hat jedoch nicht dazu beigetragen, dass die USA als jene Hegemonialmacht gesehen werden, als die sie sich gerne darstellen. Der Verlust des Einflusses auf Saudi-Arabien und den Iran ist ein schmerzhaftes geopolitisches Zeichen für die Aussenpolitik der USA. Der Frieden, der zwischen Saudi-Arabien und dem Iran und dann zwischen Saudi-Arabien und Syrien geschlossen wurde, ist nicht nur ein wirtschaftliches Desaster für die USA in Bezug auf Erdöl, sondern auch eine geopolitische Katastrophe in Bezug auf den Einfluss der USA im Nahen Osten. Mit diesen Friedensschlüssen wurde die USA ihrer Fähigkeit beraubt, die Strategie des divide et impera auszuspielen, da sie diese Länder nicht mehr manipulieren können und es scheint, dass die USA nicht mehr so gefürchtet sind wie früher. Als Gruppe sind die Länder des Nahen Ostens zu mächtig geworden und verkaufen ihre Rohstoffe in anderen Währungen als dem US-Dollar – ein Szenario, das noch vor wenigen Jahren völlig undenkbar gewesen wäre.
BRICS 11 hat eine direkte Folge: Ihre Mitglieder werden den US-Dollar nicht mehr für den Handel untereinander verwenden. Das ist ein grosses Problem für die USA, da diese Länder ihre Dollarbestände reduzieren werden und damit die Refinanzierung des US-Haushalts zu einem Problem wird, was zu höheren Zinsen führt, die wiederum eine höhere Inflation und eine weitere Abwertung des US-Dollars zur Folge haben werden. Denn, was auf den internationalen Märkten nicht aufgebracht werden kann, muss gedruckt werden.
Die viel diskutierte Einführung einer neuen, auf Gold basierenden Verrechnungswährung innerhalb der BRICS ist somit kein notwendiges Element zur De-Dollarisierung. Eine solche Einführung steht auch aufgrund der Heterogenität der BRICS-Mitglieder vor erheblichen Hürden. Die Folgen für den US-Dollar werden jedoch unmittelbar eintreten und für die USA problematisch werden.
Fazit
Wir haben die Gründe für die enorme Macht der Vereinigten Staaten seit dem Zweiten Weltkrieg erörtert. Es ist meiner Meinung nach ein Mythos, dass die Hegemonie der USA auf ihrer militärischen Macht beruht. Viel wichtiger ist ihre finanzielle Hegemonie, die es den USA – zumindest bis jetzt – ermöglicht hat, die Welt mit einer relativ kleinen Armee und 9 Flugzeugträgerverbänden zu beherrschen und mit regelmässigen Machtdemonstrationen schwache Länder in Grund und Boden zu bomben, die weder über Luftstreitkräfte noch über Luftabwehrsysteme verfügen, um gegen die US-Macht eine Chance zu haben. Die wahre Macht der USA basiert auf dem Petrodollar.
Es gibt Autoren, die ein schnelles Ende des Petrodollars und damit der amerikanischen Finanzhegemonie vorhersagen, was wiederum zum Niedergang der USA als unangefochtene geopolitische Weltmacht führen würde. Tatsache ist, dass ein grosser Teil der Welt den US-Dollar im Handel meiden wird. Diese Entwicklung hat bereits begonnen. Der Trend ist also gesetzt. Allerdings ist es meiner Meinung nach unmöglich, eine Vorhersage über die Geschwindigkeit dieses Trends zu machen. Das erklärte Ziel der BRICS und anderer Organisationen des Globalen Südens, wie der SCO, der EEU, der Arabischen Liga und der OPEC, ist der Aufbau einer multipolaren Welt. Das scheint ein realistisches Ziel zu sein. Allerdings sollte man auch bedenken, dass diese Organisationen umso heterogener ausfallen, je grösser sie werden, und dass die Schwierigkeit, ein gemeinsames Vorgehen durchzusetzen, mit der Anzahl der Mitglieder steigt. Zum Schluss möchte ich die Aufmerksamkeit auf eine historische Gegebenheit lenken, die vielen Menschen nicht bewusst ist. Als die USA auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren und dem Rest der Welt Bretton Woods aufzwangen, dauerte es noch 12 Jahre, bis der US-Dollar 1956 das britische Pfund im internationalen Handel überflügelte. Manche Trends mögen irreversibel sein – aber sie brauchen Zeit.
Dieser Artikel erschien in Englisch im Gloom, Boom & Doom Report des Schweizer Finanzexperten Marc Faber, auf ZeroHedge auf Englisch und in verkürzter Form am 21. September 2023 in der Printausgabe der Weltwoche und auf Weltwoche Online in deutsch.
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