Wagner-Spuk vorbei

Eine mehr als gefährliche Situation für Russland wurde unkonventionell und schnell gelöst – beeindruckend.

Peter Hänseler

Als ich am Samstag bei einem Spaziergang erfuhr, dass Prigoschin mit seiner Wagner-Gruppe meuterte, überkam mich grosse Angst.

Ich rief meinen Partner Denis Dobrin an und erbat, innert 3 Stunden alle Informationen zusammenzutragen, welche erhältlich waren. Danach verliessen mein Mit-Autor René Zittlau und ich einen Museumsbesuch mit unseren Frauen und wir gingen direkt in unser Büro.

Mir kamen als erstes Hinweise eines italienischen Freunds in den Sinn, welcher mich seit Januar immer wieder darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ihn die aggressiven Aussagen Prigoschins gegen die militärische Führung Russlands besorgten.

Ich muss zugeben, dass ich diese Sorgen nicht teilte und somit die Gefährlichkeit der Situation total unterschätzt hatte. Das soll mir eine Lehre sein.

Im Büro lasen wir alles, was wir in die Hände bekamen und versuchten, uns einen Reim zu machen.

Wir entschieden uns dafür, in unserem Kurzbeitrag «Putsch, Bürgerkrieg oder Finte?«eine Auslegeordnung zu verfassen. Zuerst beschrieben wir den Sachverhalt im Telegrammstil, berichteten über die Videobotschaft von General Surovikin und analysierten die Rede Präsident Putin.

Die Möglichkeit, dass es sich um eine Finte Präsident Putins handelte, eine Variante, welche in den sozialen Medien herumgereicht wurde, erledigte sich unseres Erachtens nach der Rede von Präsident Putin.

Betreffend der Gründe für dieses Himmelfahrtskommando waren wir uns ziemlich sicher, dass Prigoschin die Unterstellung der Wagner-Gruppe unter die Befehlsgewalt des Verteidigungsministeriums nicht akzeptieren konnte und sich zu dieser – unseren Erachtens – Wahnsinnsstrategie hinreissen liess.

Nie waren wir der Meinung, dass sich Prigoschin militärisch durchsetzen könnte – dafür ist die Wagner-Gruppe einfach zu klein. Auch glaubten wir nicht, dass die Bevölkerung oder das Militär sich Prigoschin anschliessen würden.

Die Kolonne von 25’000 Wagner-Soldaten bewegten sich jedoch in Windeseile Richtung Moskau, durchbrach Strassensperren und schien zu allem bereit.

Hier ist anzumerken, dass diese Söldner und ihr Führer seit über einem Jahr in brutale und blutige Häuserkämpfe verwickelt waren. Dieses Handwerk hat Einflüsse auf die Menschen und können zu nicht-rationalen Aktionen oder sogar zu regelrechten Irrsinnstaten führen – das war nun Realität.

«Wir konnten das Glück kaum fassen und waren baff.»

Nach der Publikation unseres Artikels begaben wir uns in ein Restaurant und versuchten mit unseren Frauen ein Nachtessen zu geniessen, was uns sehr schwer viel.

Tausende Wagner-Soldaten in der Stadt Moskau wäre ein absoluter Albtraum gewesen. Um ca. 19.30 Uhr informierte uns Denis, dass Prigoschin seine Kolonne umgedreht habe und auf dem Weg zurück nach Rostov am Don seien.

Wir waren sehr erleichtert.

Was war geschehen, dass eine Katastrophe noch abgewendet werden konnte?

«Ordnung ist zurückgekehrt und es gibt wohl wenige Russen, welche diesen Ausgang nicht begrüssen.»

Dann erfuhren wir, dass Präsident Putin einmal mehr die nicht-blutige Lösung gesucht und wohl gefunden hatte. Es wird seine Zeit dauern bis Details an die Öffentlichkeit kommen werden, wie – unter kundiger Mithilfe Präsidents Lukashenko – eine diplomatische Lösung so kurz vor einem Blutbad gefunden wurde.

Wir hatten danach einen grossartigen Abend – da waren eine Russin, eine Ukrainerin, ein Deutscher und ein Schweizer – alle glücklich.

Nicht überrascht waren wir über die Beiträge der westlichen Presse am Wochenende: Die Macht Präsident Putins am Ende, das sei der Beweis, dass Russland morsch und schwach sei.

Wen kümmert dieses hilflose Geschrei. Die Ordnung ist zurückgekehrt und es gibt sicher nur wenige Russen, welche diesen Ausgang nicht begrüssen.

Ob dieser kurze Sturm auf die russische Führung beziehungsweise auf die militärische Situation in der Ukraine einen Einfluss haben wird, ist nicht absehbar. Wir werden das beobachten und versuchen uns – wie immer – von Spekulationen fernzuhalten; das überlassen wir anderen.

Wagner-Spuk vorbei

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