Liebesgrüsse aus Moskau

Marc Faber, mit dem ich seit 20 Jahren befreundet bin, hat mich gefragt, ob ich für die Februarausgabe seines The Gloom, Boom & Doom Reports einen Artikel über mein Leben in Russland verfassen würde, was ich mit Freude machte. Der Gloom, Boom & Doom Report ist einer der weltweit angesehensten Publikation für professionelle Anleger. Hier ist mein Bericht. 

Peter Hänseler

Peter Hänseler & Adriano Ackermann

Für den Leser wird es aussagekräftiger sein, falls ich meine Sicht der Dinge über das Leben in Russland in einen grösseren Zusammenhang stelle und etwas weiter aushole, indem ich berichte, wie es mir in meinem Leben erging.

Ich wurde 1964 – als letzter Jahrgang der Baby Boomers – in Zürich geboren. Ich wuchs in einer Mittelstandsfamilie auf und verbrachte die ersten 14 Jahre meines Lebens in einem Wohnblock nicht weit von der Stadt Zürich entfernt.

Die Schweiz war in meiner Jugend stark vom amerikanischen Einfluss in Politik und Wirtschaft geprägt. Es herrschte der kalte Krieg und jeder wusste, wer die Lieben und die Bösen waren. Man war sich sicher, auf der rechten Seite zu stehen.

Spätestens als ich in die Armee eintrat, wurde das klar. Zu meiner Zeit musste jeder junge Schweizer in der Milizarmee Dienst tun. In Übungen und Manövern war der Feind immer rot und kam aus dem Osten – das ist wohl die einfachste Art, die damalige aussenpolitische Haltung der Schweiz in einem Satz zusammenzufassen. Es war eine einfache, bipolare Welt.

In meinem Leben wurde ich stark von meinen Grossmüttern beeinflusst. Meine Grossmutter mütterlicherseits war Deutsche, die mit einem Auslandschweizer verheiratete war. Sie flüchteten vor der Hyper-Inflation 1923 in die Schweiz – sie war «nichtpraktizierende» Jüdin, er ein Goldschmied – beide verloren 1923 durch die Hyperinflation in Deutschland alles und bauten sich in der Schweiz eine bescheidene Existenz mit einem Goldschmied Atelier auf. Während des Krieges bangte meine Grossmutter um ihr Leben, man versteckte den jüdischen Hintergrund, konvertierte zum Katholizismus und hoffte, dass die Deutschen die Schweiz nicht überfielen.

Meine Grossmutter väterlicherseits wollte zeitlebens die Welt erkunden, sprach 5 Sprachen und war bereits als 16-jähriges Mädchen als Au-pair in Algerien, am Anfang des 20. Jahrhunderts.

Diese meine Grossmütter brachten mir Kultur – vor allem Musik – und die weite Welt näher.

Ich wuchs also in einem Land auf, das voll war mit Atlantikern. Man schaute zu Amerika auf und somit war die geopolitische Gesinnung gegeben. Weiter waren die USA ebenfalls das Mass aller Dinge in Sachen Karriere. Wollte man – etwa als Rechtsanwalt wie ich es sein wollte – für ein Top-Kanzlei tätig sein, so bedurfte es eines Doktortitels und nach der Ausbildung in der Schweiz ebenfalls eines Abschlusses an einer Spitzenuniversität in den USA.

Ich schlug ebenfalls diesen Weg ein und studierte mehrmals in den USA, zuerst in Sommerschools, wo ich während der Sommerpause Oekonomiekurse belegte. 1993/1994 studierte ich an der Georgetown University Recht und erwarb mein LL.M.

Dennoch, rein aufgrund der Musik und der Literatur war ich sehr früh begeistert von Russland, rein emotional – 6-jährige Geopolitiker gibt es nicht.

Meine 5-sprachige Grossmutter fragte ich, warum Russland so schlecht sein könne, wenn es doch so schöne Musik gäbe und so schöne Bücher: Sie erwiderte mir lediglich, dass auf der Welt die Dinge oft anders seien, als die Mehrheit sie beschrieben und alles sei anders, wenn man es aus der Nähe betrachte. Dieser Satz blieb bei mir hängen wie kein zweiter in meinem Leben.

Die Neugier auf neues und anderes habe ich sicher von meiner Grossmutter geerbt. Ich wollte immer mehr sehen und die Anwaltskanzlei, in der ich in Zürich arbeitet, gab ihren Jungen sehr viel Freiheit und Verantwortung. Das habe ich ungemein geschätzt und genutzt.

Ich war immer an verkorksten Fällen interessiert, welche eine grosse Herausforderung für den Anwalt – und auch für die Klienten – darstellten. Zerstrittene Parteien, Familien und Transaktionen, welche eigentlich unmöglich waren. Das machte mir Freude. Somit bekam ich bald die Fälle, die kein anderer wollte und einer davon war eine Immobilientransaktion in Russland.

Dies war sehr spannend und ungewöhnlich. Meine Kollegen im Zürcher Büro fanden meine Reise gefährlich, würde ich verhaftet, verschleppt oder gar umgebracht?

Ich fuhr mit grossem Interesse das erste Mal nach Russland, einerseits politisch geprägt vom Westen und andererseits mit einem offenen Herzen für die gigantische Kultur dieses Riesenreichs – würde es ein positives Erlebnis werden?

Moskau war nicht das Moskau von heute – man würde es nicht wieder erkennen. 1997 war die Zeit der Oligarchen. Der grosse Teil von Moskau blickte den Betrachter in einem grau-in-grau Ton an. Die Luft war schlecht, das Verkehr war ein Chaos, den meisten Menschen ging es schlecht – das spürte man. Infrastruktur für eine Mittelschicht gab es nicht, da es keine Mittelschicht gab.

Es gab praktisch keine Restaurants, da sich das gar niemand leisten konnte. Die Ausnahmen waren ein paar wenige überteuerte Restaurants, die meisten davon befanden sich in den grossen Hotels. Die Lobbys der Hotels waren Begegnungszentren von kauzigen und düsteren Figuren, welche dort den ganzen Tag Treffen abhielten. Ich weilte im Metropol Hotel, einem grosser düsterer Kasten, der die Zarenzeit überlebt hatte. Dennoch, die grossen Zeiten hinter der verwohnten und schlecht unterhaltenen Oberfläche war immer noch zu erahnen.

Mein erster Spaziergang führte mich spätabends auf den Roten Platz. Das Rot im Namen dieses Platzes stammt übrigens nicht vom Wort «rot», sondern vom russischen Wort «schön» ab – und das war er. Diesen Ort kannte ich schon mein ganzes Leben als Hintergrundfoto aus der Tagesschau – der Kreml hinter den grossen roten Mauern, düster und angsteinflössend. Ein weiteres bleibendes Bild waren die sowjetischen Führer auf der Tribüne über dem Leninmausoleum während der Militärparaden.

Nun stand ich da, vor der Basilika, nachts – bei leichtem Schneefall. Die Schönheit war überwältigend und das bedrohliche der ganzen Atmosphäre, die ich früher gespürt hatte, war wie weggeblasen und wurde von einer Anmut, Eleganz und Freundlichkeit abgelöst. Die einzelnen farbigen Teile der Basilikatürme schauten aus wie farbige, zusammengenähte Seidenkissen – die Farben waren warm und kräftig.

Unser russischer Joint-Venture Partner war ein Charmeur, sprach gut Englisch und war ein begnadeter Verkäufer. Seine russische Anwältin war eine Kämpferin, aggressiv, aber blitzgescheit, laut, aber auch charmant und hands-on.

Das Projekt war klein aber fein – die Lage des Projekts war gut und die Transaktion wurde für beide Seiten ein grosser Erfolg. Unser russischer Partner lieferte was er versprach und wir taten dasselbe: Joint Venture.

Am letzten Abend meines Besuchs lud mich die Gegenanwältin zu einem Konzert in die Tschaikowsky Concert Hall ein. Kurt Mazur, einer der grossen Dirigenten des 20. Jahrhunderts spielte Tschaikowsky – das Publikum, Menschen von der Strasse – kein elitärer Anlass wie im Westen – einfach grossartig und die Qualität der Musik – weltspitze.

Das Bild, das ich von Moskau bisher hatte, musste ich revidieren – und zwar komplett. Unter der Oberfläche dieser Riesenstadt, eines Molochs, gab es Schönheit und Kultur vom Feinsten. Viele Freunde beschreiben die Eindrücke ihres ersten Aufenthalts ähnlich – die (negative) Erwartungshaltung wird durch sehr positive und unerwartete Momente abgelöst – ein positiver Kulturschock.

Dennoch, das System, das in den 90-iger Jahren herrschte, war ungesund. Ein Staat der mehr schlecht als recht funktionierte, eine kleine Schicht von Oligarchen, welche auf Kosten der grossen Mehrheit Mutter Russland ausweideten und eine weitere Gruppe von rücksichtslosen und smarten Geschäftsleuten, welche die Ineffizienzen dieses Staates ausnutzten – immer auf Kosten des Normalbürgers.

Im August 1998 brach alles zusammen, was in einem Land zusammenbrechen kann. Als ich im September 1998 in Moskau weilte, las man in der FT, dass die Panzer nach Moskau unterwegs seien und es einen Bürgerkrieg gebe. Das stimmte alles nicht.

Die Menschen erhielten keine Löhne mehr und die Fabriken bezahlten ihre Angestellten in jenen Gütern, welche sie herstellten. Der Vater meiner Freundin, welcher als Ingenieur in einer Scheinwerferfabrik für Autos arbeitet, kam mit Autoscheinwerfern nach Hause. Angestellte von Sargfabriken wurden in Särgen bezahlt. In jedem westlichen Land wäre es zu einem Bürgerkrieg gekommen – die Russen blieben ruhig und versuchten, irgendwie durchzukommen – die Datscha, wo die Russen ihr eigenes Gemüse anbauten, half. Niemand hungerte, aber die Zeiten waren übel und durch den Rubelzerfall verloren die Menschen nicht viel, sondern alles.

Wer russische Aktien hielt, verlor fast alles. Die Stimmung war auf einem Tiefpunkt, aber ich verspürte nie eine aggressive Stimmung und die im Westen heraufbeschworenen Unruhen oder sogar Bürgerkriege trafen nie ein.

Die Russen – das fand ich 1998 auf dem Tiefstand der Krise heraus – hatten eine Qualität in ihrer Persönlichkeit, welche nur mit dem Wort «unglaublich» beschreibbar ist: Sie blieben ruhig, wie wenn sie gewusst hätten, dass Chaos die Sache nur noch verschlimmern würde.

Für die Öffentlichkeit überraschend wurde bald darauf ein junger Mann aus St. Petersburg zum Premier ernannt und dann zum Präsidenten gewählt – Vladimir Putin. Sehr jung, sehr unerfahren – er hätte keinen schwierigeren Start haben können und im Westen glaubte niemand mehr daran, dass Russland noch einmal aufstehen würde.

Präsident Putin nahm die Arbeit auf und rief die Oligarchen zu sich. Er teilte ihnen mit, dass sie sich von der Politik fernzuhalten hätten, sie jedoch ihr Geld behalten könnten, falls sie sich daranhielten. Seine Position war schwach, zu schwach, um den Oligarchen ihr Geld wieder abzunehmen. Die meisten hielten sich daran, einige verliessen Russland und Chodorkowski, der Reichste, versuchte dennoch, die politische Macht zu erlangen. Er scheiterte und landete im Gefängnis.

In diesem Artikel geht es nicht etwa darum, Präsident Putins Gesamtleistung zu beurteilen; hier verweise ich auf die wohl umfassendste und objektivste Biographie Putins von Thomas Fasbender. Der Autor ist ein Russlandkenner und verbrachte viel Zeit im Riesenreich als Manager und Unternehmer. Nach der Lektüre der von ihm verfassten Biographie, konnte ich nicht sagen, ob er für oder gegen Putin ist. Das ist eine Leistung eines Autors, welcher sich Objektivität auf sein Schild schrieb.

In dieser Geschichte geht es lediglich darum, mein Leben in Russland zu beschreiben – wie gut war es und wie gut ist es heute, in Zeiten neuer Wirren.

Ab 1998 war ich nicht mehr als Rechtanwalt, sondern als Manager in Russland tätig. Die ersten Projekte waren ein grosser Erfolg und somit investierten wir viel Geld mit unserem russischen Joint Venture Partner und hatten im Sommer 1998 als die Wirtschaft zusammenbrach sechs Projekte im Bau – perfektes Timing.

Meine Chefs waren anfangs der Krise nicht dazu bereit, die letzten 35% der Investitionen zu tätigen, um die Projekte fertigzustellen. Ein halbfertiges Immobilienprojekt hat jedoch einen Wert von exakt null. Auf der Equityinvestmentseite zeigte das Verlustbarometer -98% und man wollte nicht weiter in eine Katastrophe investieren.

Ich erklärte, dass Russland stabil sei und die Berichte aus dem Westen reine Panik von gierigen Investoren sei, welche zuerst viel verdienten und nun ihre Sicht um 180 Grad drehen würde, um ihre gigantischen Verluste irgendwie zu erklären und – auf Kosten von Russland – besser auszusehen. Ich konnte meine Chefs überzeugen und viele meiner Kollegen waren sich des Untergangs von Peter Hänseler sicher – meinen Job würde ich verlieren, falls ich nicht Recht behalten würde. Das war auch mir bewusst. 

Die Situation stabilisierte sich, unser Joint Venture Partner lieferte und nach Fertigstellung aller Projekte konnten wir diese gewinnbringend verkaufen; es war ein Kraftakt und jeder weiss, dass die meisten Menschen unter Druck nicht sehr freundlich agieren. Dennoch – ich behielt meinen Job.

Ein paar Jahre später eröffnete ich meine Firma in Moskau – allein. Es war eine schwierige Zeit. Als ich anfing, waren alle noch trunken vom Börsenfieber während der Dot.com-Blase. Mein Fundraising begann jedoch genau dann als die Dot.com-Blase platzte – wiederum, grossartiges Timing.

In einem Riesenreich wie Russland geht alles gemächlich – könnte meine meinen. Die Prozesse waren sowjetisch geprägt, eine Verwaltung, welche sehr lange nicht mit der Entwicklung mithalten konnte – ineffizient und intransparent, was die Korruption begünstigte.

Ich sah das Potenzial Russlands im Jahre 1997, sah den Zerfall 1998 und eine unglaublich schwierige Zeit in den nächsten ca. 5 Jahren. Dennoch, für mich war immer klar, dass Russland es schaffen würde und ich sollte Recht behalten. Ich sah immer – bei allen Problemen – das Positive: Die Grösse und den Reichtum des Landes und den Reichtum an Menschen. Die Russen habe ich immer als sehr warmherzig und offen wahrgenommen; dennoch, die sie sind Skeptiker. Das grosse offene und sehr einnehmende Verhalten der Amerikaner etwa haben die Russen nicht. Nicht alles ist vom ersten Moment an grossartig und sympathisch und man wird nicht Freund in 15 Minuten.

Sie schauen einem nicht grimmig an – wie bei uns angenommen – sondern skeptisch. Die Wärme kommt langsam, aber ehrlich daher. Nimmt man sich die Mühe, russisch zu lernen, so verfügt man über den Schlüssel, um das russische Herz zu öffnen. Für jeden Westler ist diese Sprache jedoch eine Zumutung: Die Grammatik ist ein Horror, die Aussprache hat mit dem geschriebenen nicht wirklich viel zu tun und jede Putzfrau verfügt über ein riesiges Vokabular, sodass einem Hören und Sehen vergeht – dazu kommt noch, dass diese Sprache schneller gesprochen wird als viele andere. Aber, es lohnt sich.

Zum Leben heute: Ich lebe in Moskau, reise aber aus privaten Gründen auch in die Regionen. Moskau ist nicht Russland, wie New York nicht die USA sind. Eine Grossstadt von 17 Millionen Einwohnern hat immer eine prägnante, aber auch harte Note – überall. Was auffällt ist der Umstand, dass die Wolkenkratzer auf einem kleinen Gebiet ausserhalb des Zentrums konzentriert sind – Moscow City. Die Innenstadt ist geprägt von vielen alten Gebäuden und ein Freund von mir, der Paris liebt, sagte mir anlässlich seines ersten Besuchs in Moskau – wie Paris, nur alles grösser und grosszügiger.

Jedem ist etwas anderes wichtig – alle Menschen sind verschieden. Für mich ist das Restaurantangebot äusserst wichtig – wo es kein gutes Essen gibt, möchte ich nicht leben. Ich kannte 1997 vielleicht 5 Restaurants in Moskau – heute sind es 17’000, eine gigantische Anzahl von Angeboten, von sehr günstig bis sehr teuer. Die russische Küche ist nicht sehr künstlerisch oder hochstehend – etwa wie die schweizerische. Die Restaurants sind jedoch sehr international und viele russische Köche sind äusserst kreativ. Das ist ein grosser Pluspunkt von Moskau.

Viele Menschen im Westen erwarteten, dass das riesige Angebot in Super- und Hypermärkten durch die Sanktionen zusammenbrechen würde. Dem war nicht so. Russland ist seit 2014 – dem Beginn der Sanktionen – zum grössten Agrarexporteur der Welt geworden, was bedeutet, dass alle Grundnahrungsmittel in grossen Mengen für jedermann verfügbar sind. Die meisten Importe finden den Weg nach Russland, das wissen auch die westlichen Exporteure nur zu gut – diese machen jetzt einfach ihre Umsätze in Kazachstan oder Armenien, durch welche die Importe nach Russland jetzt laufen. Mein italienischen Kaffeekapseln haben seit neuestem einen Kleber aus Eriwan – der Hauptstadt von Armenien – auf den Schachteln. Wer das Land wirklich verliess, sind Konzerne wie etwa McDonalds, der immerhin ca. 8% des Gesamtumsatzes in Russland machte. Der Witz, dass die Amerikaner die Russen bezüglich Volkgesundheit unterstützen würden, machte die Runde. Dann wurde die gesamte Organisation von einem Russen übernommen und jetzt heisst es «vkusna i tochka», was etwa mit «Yummy and fullstop» übersetzt werden kann. Die Qualität hat sich jedoch nicht verbessert: Junk remains junky.

Die Dauer der Durststrecke von westlichen Gütern hielt ca. 2 bis 3 Monate an, jetzt gibt es wieder alles und trotz der Umwege der Produkte, geht die Inflation in Russland – selbst zur Überraschung von Elvira Nabiullina, der Präsidentin der Russischen Zentralbank – stetig zurück.

Wenn ich meinen Freunden in der Schweiz berichte, dass die Auswahl in Moskau grösser sei als in Zürich, so glauben sie mir das nicht; es ist aber so.

Die Versorgung ist somit grossartig und für leibliches Wohl ist gesorgt.

In Sachen Kultur, Musik und Kunst hält Russland schon immer ein Spitzenplatz und Kultur ist sehr verfügbar und erschwinglich für alle. 

Ich lebe im Zentrum und mache als begeisterter Fussgänger die meisten Strecken zu Fuss. Manchmal nehme ich auch einen Weg von über 20 Kilometern unter die Füsse; man sieht einfach mehr und spürt die Stadt besser als im Auto. Wer im Zentrum wohnt und ein Auto hat, ist nicht zu beneiden. Der Verkehr ist ein Horror. Die Strassen – auch im Zentrum – verfügen oft über 2 Mal 6 Spuren und alles ist vollgepackt mit Autos. Parkplätze sind eine Rarität und teuer. Für lange Fahrten bietet sich die Metro an, eine der leistungsfähigsten der Welt. Auch gibt es Trams and Busse. Die Qualität der Taxis ist gut und sie sind sehr günstig.

Soviel zum anfassbaren über diese Stadt. Es funktioniert alles bestens – das sagt ein Schweizer! Einige Dinge könnten besser sein, aber ich habe das Gefühl, dass die Stadtregierung immer versucht, Schwächen zu beseitigen. Moskau möchte gefallen und tut es. Diese Stadt hat in den letzten 20 Jahren eine Entwicklung durchgemacht, welche das Adjektiv «atemberaubend» verdient – im Positiven.

Wie verhalten sich die Russen bezüglich der Ukrainekrise und gegenüber dem Westen? Es ist eine westliche Propagandamähr, dass in Russland andere Meinungen nicht hörbar sind. Selbstverständlich betreiben auch die russischen Medien Propaganda, aber der Staat weiss, dass er einem Haufen von 150 Millionen Einwohnern gegenübersteht, die alles Skeptiker sind. Der Presse glaubt man nichts in Russland – das hat die Geschichte gelehrt.

Auch kommen sehr wohl kritische Berichte bezüglich Staat, Korruption und militärischer Leistung zu Wort. Die russischen Medien lagen auf jeden Fall seit dem 22. Februar 2022 näher an der Wahrheit als die westlichen. Ich weiss es, da ich einen grossen Teil meiner Zeit mit Lesen verbringe und Enten sind rarer in russischen Zeitungen als in westlichen.

Zum Staat haben die Russen ein sehr anderes Verhältnis als ihre westlichen Freunde. Immer wieder: Skepsis. Der Staat als Dienstleister am Bürger hat sich hervorragend positiv entwickelt. Einwohnerkontrolle, Strassenverkehrsämter, Steuerangelegenheiten – so alles was einem Bürger auf der ganzen Welt auf den Nerv geht – läuft effizient und modern ab. Die Steuerbelastung (Flat-tax 13%) sowie der Umstand, dass es keine Vermögenssteuer gibt, scheint nicht nur paradiesisch, sondern ist es auch.

Zur politischen Freiheit: Russland könnte nicht mit einem schweizerischen System gemanagt werden – unmöglich. Dazu fehlt es schon am Interesse an der Politik. Die Russen möchten in Ruhe gelassen werden, Strom, Wasser und ein Geschäftsklima, das den Kleinen nicht kaputtmacht. Der Umstand, dass Präsident Putin schon lange am Ruder ist, stört die grosse Mehrheit der Russen keineswegs. Er war der erste, der aufräumte und das Leben für die Durchschnittrussen tatsächlich verbesserte. Lieben sie ihn? – Respekt ist wohl die bessere Wortwahl und den hat er sich redlich verdient.

Nun lebe ich also in Moskau und durfte die Entwicklung über 25 Jahre beobachten. Die Hauptstadt des grössten Landes der Erde ist ein Juwel, man muss nur kommen und es anschauen. Meine Grossmutter hatte Recht, dass auf der Welt die Dinge oft anders sind, als die Mehrheit sie beschreiben und alles anders ist, wenn man es auch der Nähe betrachtet.

Liebesgrüsse aus Moskau

13 Kommentare zu „Liebesgrüsse aus Moskau

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